Staaten.
Völker.
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tisehe, geistige und körperliche Ausartung wird die Folge sein. Am
schönsten wird sich übrigens ein Volk- freilich meistens nur für kurze
Dauer in der Periode zeigen, wo es am Rande der Demokratie steht
und in die Ochlokratie oder Tyrannis überzugehen im Begriff ist. In
einer solchen Uebergangszeit sehen wir alle Kräfte entbunden, ohne
dass schon das wirre Durcheinander einer Pöbelherrschaft bemerkbar
wird: es ist ein Regen und Leben, ein Schaffen, Vorwärtsringen, eine
Genussfreudigkeit und Genusskraft vorhanden, die das Grösste unter-
nimmt und ausführt. Man denke an Athen und Florenz. Welche Männer
haben diese Städte geboren, welche Werke sind in solchen Perioden ge-
schaffen! Auch Rom, Frankreich, England die beiden letzten vor
und in ihren Revolutionszeiten könnte man dafür anführen, nur dass
hier die Geister zu sehr von politischen Bewegungen absorbirt wurden.
Staatsverfassungen, die gleich weit von Zwang wie von Willkür ent-
fernt sind, die jede freie Entwickelung des Individuums unterstützen
und nicht blos eine Kaste begünstigen, sondern die Massen heranzu-
bilden suchen, solche sind auch ästhetisch die besten. So die constitu-
tionellen Regierungen unserer Tage, die geniässigten Aristokratien und
Demokratien.
Zur ästhetischen Entwickelung eines Volkes gehört Freiheit. Dann
ein gewisser Grad von Wohlhabenheit, welche Musse giebt. Denn erst
wenn das Bedürfniss befriedigt ist, beginnt das Schöne. Reges körper-
liches und geistiges Leben ist weitere Bedingung für die Einzelnen; für
die Gesammtheit politisches Leben. Die Gränzen einer politischen Be-
theiligung zu stecken ist hier weder der Ort noch handelt es sich darum.
Genug, dass des lilannes Blick über den engen Kreis seines Ich's oder
seiner Familie hinausgelenkt werden und er sich als ein Glied der Ge-
sellschaft fühlen muss; wie unabänderlich dieser Trieb des Wirkens
in der Gesellschaft bei kräftigen Niölkernlsich geltend macht, liesse sich
trefflich nachweisen an den politischen und religiösen Bewegungen, von
denen eine die andere abzulösen pflegt.
ln gesunden Staaten werden "sich die gestellten Anforderungen von
selbst erfüllen. Das Volk wird frisch sein, die Jugend wird spielen, die
Manneskraft sich üben, Feste werden gefeiert werden, Philistergeist
wird keine Stätte haben, das bewegte Leben wird eine sonst vielleicht
mangelhaftere Erziehung ergänzen. Anders bei einem gedrückten Volke,
mögen die Ursachen des Drucks nun sein, Welche sie wollen. Hier ist
auch eine ästhetische Erziehung nothwendig, so schwierig sie auch ist.
Erkennung des Uebels muss natürlich vorausgehen; so lange man nicht
die Axt an dessen Wurzel legt, erschöpfen sich alle Anstrengungen. So
z. B. hat bureaukratisches Regiment auf die Deutschen lähmend einge-
wirkt. So lange man nun nur für Uebung des Körpers und für einen
sogenannten deutschen Sinn schwärmte, der in seiner Romantik durch-
aus nicht kernhaft deutsch war, so lange war keine Besserung zu