196
Staaten.
Völker.
Das Alternhuln.
ständig. Gewinnt ein Volk sein Watfenrecht nicht wieder, was wohl
mit einer Verschmelzung Hand in Hand zu gehen ptiegt, so wird es er-
niedrigt. In den meisten Fällen aber wirkt eine solche Eroberung mehr
als Auffrischung des Volks durch das neue, kräftige Blut denn ver-
kümmernd.
Schlimm wirkt systematische Despotie, systematische Unterdrückung
überhaupt, wie wir sie bei den Europäern in so hohem Grade ausgebildet
finden. Nicht der persönliche Despot, sondern das überall herrschende
System, dem keine Hütte, kein entlegenes Dorf, dem das Kind in der
Wiege, der Greis auf der Todtenbahre, die Braut vor dem Altar nicht
entgeht, beherrscht, überwacht, lähmt Alles. Einer solchen gesetzlichen
Umschnürung, wo nicht geraubt, sondern ausgesogen wird, kann sich
Niemand entziehen. Unter diesen Schlaugenumstrickungen muss jedes
Volk verkümmern. Nicht einmal der thierische Instinct der Selbster-
haltung wird bewahrt, weil die Unterdrücker nicht offen auftreten, son-
dern hinter dem Schild schlechter Gesetzlichkeit, der von ihnen gege-
benen, angreifen und dadurch vor Schwert und Kugel sich besser
bewahren, als der orientalische Despot. Das Volk wird dadurch ver-
dummt, tölpelich, es wird zum Sclaven. Stolz, freier Muth, jede wahre
Mannhaftigkeit enttlieht. Welch ein munteres sprudelndes Volk waren
die Deutschen im I6. Jahrhundert! Und wie sahen sie aus, als über
das durch den 30 jährigen Krieg ruinirte Land die Netze des gebildeten
d. h. des raftinirteii Despotismus geworfen wurden! Zu welchen erbar-
mungswürtligen Geschöpfen waren die Franzosen des vorigen Jahrhun-
derts herabgedrückt.
Ebenso systematisch herrschende Aristokratie. S0 lange Herrscher
und Unterdrückte mit einander kämpfen, zeigen sich jene auf der Höhe
der Männlichkeit, die schon geschildert wurde und behalten diese ihre
geistige Regszimkeit; so zeigt uns Rom die mächtigsten Gestalten trotz
oder in Folge der inneren Partheiungen; so hat das angelsächsische
Volk sich nie den Normannen ganz gebeugt und das furchtbarste, har-
teste Joch der Tyrannei, was über seinen Nacken geworfen wurde, ab-
geschüttelt. So wie aber der Kampf beendet ist und die Unterliegenden
sich auf Gnade und Ungnade unterwerfen, sobald sind sie ästhetisch zu
einermiederen Rage herabgedrüekt. Man könnte verschiedene Provinzen
dafür anführen, wenn man nicht gleich den ganzen deutschen Bauern-
stand als Beispiel nehmen will. Nach den Bauernkriegeu und besonders
durch die schrecklichen Drangsale des 30jährigen Krieges wurde er
überall wenige Freistätten ausgenommen der Herrschaft des Adels
unterworfen und zu einer dumpfen Knechtschaft herabgewürdigt, deren
Folgen er noch heute nicht verwinden kann.
Die Entfesselung der Massen in der Ochlolzratie untergräbt eben-
falls bald ein Volk. Die ungebantligten Leidenschaften, die Willkür
ziehen ästhetisch wie politisch bald Verfall und Sturz nach sich. Poli-