Volltext: Populäre Aesthetik

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in seiner 
Der Mensch 
Thätigkeit. 
Jeder Mann soll Krieger, soll wehrhaft und muthig sein. Jeder 
Staat muss dahin wirken, dass seine Männer Krieger sind, d. h. ausge- 
bildet in den körperlichen dazu erforderlichen Fertigkeiten und von 
Muth und Todesverachtung beseelt. 
Die Fehler des Kriegers sind bekannt. Der Friedenssoldat wird 
zur Hclzpuppe, die sich nicht bewegt, ohne dass der Draht gezogen 
ist; er wird leicht trocken, bornirt, der Feldsoldat wird dagegen wohl 
mitleidslos, brutal, raubthiermässig. Nur vortreffliche Bildung kann in 
beiden Fällen davor bewahren. 
Im Gegensatz zum Krieger steht der Gelehrte. Schaut jener in 
die Welt mit kecken, zielenden, begierigen Blicken, so dieser in sich 
oder in seine Bücher, prüfend, sondernd, grübelnd. Heisst es bei jenem 
Bewegung, Körperanstrengnng, so heisst es hier Sitzen, Geistesarbeit. 
In einer Beziehung sind beide gleich. Ist jener stolz auf seine Männer- 
tugend, den Muth, so ist dieser stolz auf seine Menschentugend, die 
Geistesthätigkeit, die allein er als das anerkennt, was den Menschen 
vom Thiere unterscheidet. Jener wird in seinem Stolze Renommist, 
dieser wird hochmüthig. Die meisten Klassen der Gelehrten sind kör- 
perlich leider den Stubenhandwerlaern gleichzustellen, nur dass sie ihnen 
an Muskelkräftigkeit noch nachstehen. Engbrüstig, krummrückig, steif, 
schwaehäugig, so findet man sie häufig. 
Während die geistige Arbeit den Gelehrten durchgeistigt, und durch 
die feinen Züge des Antlitzes, den gedankentiefen Blick, die ausgearbeitete 
Stirn, den feinen Mund für manchen sonstigen Fehler entschädigt, hat 
der Handlanger des Gelehrtenthums, der Schreiber, durchschnittlich nur 
die Nachtheile seiner-Beschäftigung. Er ist ein beklagenswerther Mensch, 
so beklagenswerth wie der Tagelöhner und Fabrikarbeiter. Schwer kann 
er sich davor bewahren, geistig und körperlich zu verkümmern.  
Einen Unterschied macht übrigens beim Gelehrten, 0b er nur 
studirt und schreibt oder 0b er lehrt, spricht. Jeder, der sprechen 
muss, wird seiner gebüekten Haltung entzogen  es sei denn, dass er 
wörtlich ablese  und muss seine Brust anstrengen. Er arbeitet sich 
im Sprechen aus, setzt schon dadurch den ganzen Körper in Bewegung. 
S0 bekommt er bessere Haltung und erscheint kräftiger. Der Lehrer 
nimmt auch mehr Rücksicht auf die Aussenwelt, was sich in seinen Be- 
wegungen als Würde, dann aber auch in der Achtsamkeit auf den 
eignen Körper zeigt. Während sich der Stubengelehrte leicht vernach- 
lässigt, wird der Lehrer scltner in diesen Fehler verfallen. Dafür ist 
er freilich einem andern ausgesetzt: weil er gewöhnlich allein spricht 
und seine Schüler nur zuzuhören, nicht zu räsonniren haben, bekommt 
er leicht das Gefühl der Unfehlbarkeit. Arroganz ist darum häufig  
bei Schulmeistern, Bureaumenschen, Professoren und Geistlichen. Am 
schlimmsten, despotisch zeigt sie sich wohl bei den letzten. Mancher 
Geistliche betrachtet sich  und nicht blos bei den Katholiken  als
	        
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