Geschlechter.
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Auch der Greis und die Matrone können schön sein, fallen aber
doch leicht ins Deforme. Die Hülle schwindet, das Skelett darunter
kommt zum Vorschein. Der Körper wird wieder schwach, zur Erde
aus seiner aufrechten Stellung nieder-sinkend. Zähne und Haare fallen
aus. Wie ehrvrürdig übrigens Greise und Greisinnen sein können, ist
bekannt; hauptsächlich aber ist es das innere Leben, was die ver-
gebende Form beleben und anziehend machen muss.
Die Stimme des Menschen gehört sowohl als Sprache wie als ge-
steigerte künstliche Sprache, als Gesang, zum Schönsten, was wir
kennen. Die Stimme des Mannes und die der Frau und des Kindes
tönt ungleich. Jene ist tiefer, dumpfer, diese heller, klingender.
Die Frage, wie der sogenannte Schmuck des männlichen Ge-
schlechts (Hörner, Stoss-, Hauzähne, Mähne, Bart u. s. W.) aufzufassen
sei, ist weder leicht zu lösen, noch unwichtig. Glänzender Feder-
schmuck u. dergl. ist an sich ästhetisch bedeutsam und bedarf keiner
Erklärung. Von'den Waffen der Thiere kann man einfach sagen, dass
sie das Thier ästhetisch heben, weil Kraft zu Vertheidigung oder An-
griff von uns geschätzt und geachtet, Unfähigkeit zu schaden oder sich
zu wehren nur bemitleidet wird. Vielfach vergrössern solche Waffen
(z. B. Geweihe) nicht blos den Eindruck der Kraft bedeutend, sondern
vergrössern das Thier im eigentlichen Sinne für die Erscheinung. Dass
ein Thier mit Waffen, seiner durch dieselben verliehenen grösseren
Sicherheit bewusst, meistens einen ganz anderen, muthigeren, statt-
licheren Ausdruck zeigt, als das watfenlose oder walfenlosere Thier
derselben Art, dafür bedarf es nur der Einweisung. Manche Auszeich-
nungen (Troddeln, Büschel, Kamm u. s. w.) heben hervor, werden durch
die Auffälligkeit für die Betrachtung ästhetisch bedeutend. Die Mähne
verdeckt Theile des Körpers, lässt ihn aber aber dagegen grösser,
mächtiger erscheinen; wenn sie den Vorderkörper ziert, z. B. beim
Löwen, wird das Hauptgewicht auf die edleren Theile geworfen, auf
Kopf, Hals und Schulter, während die Löwin mehr Rumpfthier bleibt.
Wie aber ist der Bart beim Manne aufzufassen, bei welchem er
einen Theil der edelsten Körperbildung, des Gesichts verdeckt? Weist
nicht überhaupt die stärkere, an einen Ueberrest von Pelz erinnernde
Behaarung darauf hin, dass der Mann tiefer stehe als das Weib, dass
er die erste, noch mehr thierische, die Frau die verbesserte Auflage
sei? Ist das bartlose Antlitz schöner, dem Menschlichen entsprechender
als das bärtige?
Einerseits schadet der das untere Gesicht verhüllendc Bart dem
Ausdruck, dem Sprechenden der Züge. Die feinen Regungen auf den
Wangen und um den Mund gehen durch ihn VCNOPEH; das für den Aus-
druck so wichtige Kinn wird ganz versteckt. Andererseits. stimmt der
Bart zum männlichen Wesen, indem er die Erscheinung bedeutender,
SOWie furchtbarer macht. Ferner 'ist ein schöner Bart für sich wohl-
, Lemcke, Aesthetilz. 2. Auli. 12