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Vegetation.
Die
Ruhe ist allseitig. Allseitig durchwurzelt der Baum die Tiefen, breite
er Ast und Laubwerk in die Lüfte, um Lebensodem einzusaugen.
In diesem Zustand, was braucht die Pflanze weiter? Wozu ein
eoncentrirtes Innenleben, wie das Thier hat? wozu Sinne und Organe,
um in die Aussenwelt nach Nahrung, Vereinigung mit den ergänzenden
Individuen gleicher Art zur Fortpflanzung zu spähen. Die Natur giebt
nur das Nothwendige, oder: nur das Nothwendige formt sich in der
Natur. So vegetirt die Pflanze im Genusse des allgemeinsten, noch
nicht zum schärferen Ausdruck seelisch concentrirten Lebens, aber
darin ein Bild der Fülle, der Freude des Daseins, der Sorglosigkeit,
zugleich als ein Bild der Reinheit und Güte. Sie thut keinem orga-
nischen Wesen aus eigener Thätigkeit weh, greift keins an, verzehrt
keins, nimmt im stillsten Saugungsproeess nur Unorganisches und
dieses ohne Gewaltsamkeit auf, auch ohne die Art und Weise der Zer-
setzung und der nach der Zersetzung gesehehenden Ausscheidung der
höheren Thiere. Denke man einen gewaltigen Eiehbaum, dem Polypen
gleich mit seinen Aesten und Zweigen als Fangarmen sein lebendiges
Opfer umschlingend welches entsetzliche, furchtbare Gebilde! Da-
gegen den Waldriesen der Wirklichkeit in seiner absoluten Friedlich-
keit, aber auch Hülflosigkeit, gegen die lebenden Geschöpfe.
Gegen die Krystalle gehalten, sehen wir in den Pflanzen eine
unendliche,Freiheit der Formen. Wohl liegen ihnen feste Gesetze unter
in den Formen überhaupt, in den Windungen des Stengels, der Stellung
der Zweige und Blätter, in der Form von Stamm, Zweig (Cylinder),
der Blätter, der Blumen, der Früchte, aber der Zwang ist überdeckt
und zur freien Ordnung geworden. Die mathematischen Formen daran
springen in ihrer spröden Genauigkeit nicht ins Auge, sondern müssen
gesucht werden.
Während die Krystalle noch in Regelmässigkeit, Proportion,
Symmetrie ihren höchsten Ausdruck fanden, tritt bei den Pflanzen nun
das Gesetz der. Gliederung in reichster Weise auf, am klarsten in den
höchststehenden, den Bäumen. Wurzel, Stamm, Krone sind hier die
Haupttheile. Die Wurzel unter der Erde verschwindet unseren Blicken,
aber der Stamm bildet die feste Einheit für die Krone, in welche er
sich zertheilt. Die Proportion des Stammes zu den Aesten, der Haupt-
absätze der Aeste, dann der Blattformen nach Länge und Breite, bildet
ein wichtiges Moment. (Zeising's Proportionenlehre.) Auf die Ver-
schiedenheit der Theilung des Stammes in sein Geäste, durch Spaltung
und durch seitliche Astaussendung und die zum Grunde liegenden
festen Maasse der Winkel für jede Baum- und Pflanzenart soll nur
hingewiesen werden. Die Gliederung des Baumes zeichnet sich auch
durch ihre Gesetzmässigkeit hinsichtlich des Gesetzes der Schwere aus,
Unten am stärksten, nimmt sie nach oben ab. Andere Formen er-
scheinen seltsam, hässlich oder komisch. Unten fest, starr im Stamm,