Die
Vegetation.
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Corps der Unsterblichen zur Aufsicht übergab." Warum hat er nur
so wenig Nachahmer gefunden E]
Die Pflanze baut sich aus Zellen auf, aber diese Vielheiten er-
scheinen, abgesehen von den erwähnten Moosen, ästhetisch zusammen-
gefasst durch eine Haut, Rinde etc. Die Pflanze ist Einheit in der
Vielheit, scharf gesonderte Einheit.
Sie ist bekanntlich ganz und gar Ernahrnngsgeschöpf. Sie nährt
sich und athmet mit Wurzeln, Zweigen und Blättern. Ihr höchster
Ausdruck zeigt sich in der lebendigen Fortptlanzungskraft. In ihren
Zeugungsorganen gewinnt sie darum ihren prächtigsten Schmuck. Sie
bilden die Blüthen und Blumen. Die Pflanze schmückt sich in ihren
Blumen wie eine Braut. Sprachlos ist sie. Aber ihr süsser Duft muss
Sprache sein. Er ist, was dem Vogel der Gesang in den Frühlings-
tagen, was die Lyrik dem Menschenleben. Welche Liebestrunkenheit
strömt darin berauschend, wenn warme Nacht auf sonnigen entfalten-
den Tag folgt und das duftende, prangende Blüthennieei" durcheinander
schauert. Es liegt tiefe Symbolik in dem Gedicht Heines:
Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da. ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.
Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Vöglein sangen,
Da hab ich ihr gestanden
Mein Sehnen und Verlangen.
Die Pflanze hat Bewegung in sich, aber noch keine Fortbewegung.
Sie steckt in der Erde. In den Lüften mag sie sich oben wiegen, aber
ihr Fuss ist gefesselt, sie stirbt, wenn sie dem Boden entrissen wird.
Daher hat sie immer etwas Beschränktes. Ja auch etwas Geheimniss-
volles durch den dunklen Grund, in dem sie haftet, in welchen sie sich
unserer Forschung entziehend hinabsenlzt. lhr dunkles Wurzelgeiiecht
ist daher ästhetisch mit geheimnissvollen, selbst schauerlichen Ein-
drücken verüochtexi.
Aber auch hier giebt Mangel wieder Vorzug. Vom Platze beuregen
kann sich die Pflanze nicht und braucht sie auch nicht. Der Wind und
die Sonne sorgen für sie, wenn sie sonst eine gute Stelle hat. Der
Wind bringt ihr frische Luft, der Wind ihr die nöthige Bewegung, in-
dem er sie schaukelt; er trägt ihren Blüthenstaub hinüber zu anderen;
er führt den von der Sonne als Dunst emporgezogenen Regen herbei,
"sie zu erfrischen und zu ernähren. Die Sonne hilft ihr in ihrem Lebens-
preeesse und zu all ihrem freudigen Ausdruck im Farbenschmuck der
Blätter und Blüthen. So streckt die Pflanze sich möglichst weit nach unten
und oben. Bewegung verlangt einseitige Richtung als Ausdruck. Die