Volltext: Populäre Aesthetik

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Das Tragische. 
Das Schauerstück hat keine Ilarmonie, (larum kann weder eine 
solche sich darin auflösen, noch daraus gewonnen werden. 
Dass das 'I'ragische einen festen, kühnen Künstlergeist erfordert, 
braucht kaum bemerkt zu werden. Wer in Wehmuth und Trauer 
stecken bleibt, kann niemals mit seinem Sturmwinde die Seelen er- 
schiittem und lautern. Wir Deutschen bleiben nur zu häufig in Senti- 
mentalität stecken und verrathen dadurch, dass wir das Werk nicht zu 
beherrschen verstehen, sondern selber von ihm fortgerissen werden. 
Doch der Kampf gegen diese Schwäche hat begonnen und wenn er auch 
wohl (Hcbbel) ins Extrem umgeschlagen, so steht doch zu erwarten, 
dass aus der Einsicht und dem Bestreben das richtige Maass für das 
Tragische wird gewonnen werden. 
Warum aber erfüllt uns das Tragische mit einer, trotz Furcht und 
Leiden, erhebenden Freude? 
Wir wollen uns auf (einige Hauptsätzc darüber beschränken. 
Die edle Seele empfindet Freude an dem Erhabenen. Nirgends 
zeigt sich (lasselbe höher, als wenn es mit dem Uebermächtigen ringt. 
Es besiegelt seine Grösse gleichsam durch den Tod; sterbend siegt es. 
Die Leidenschaften werden durch das Tragische und seinen Kampf 
entladen, ohne dass wir selber uns abzuringen haben. Wir bleiben frei 
und empfinden doch durch die Kunst, was der Seele nothwendig ist, 
wie der Sturm den Lüften, die Wogen dem Wasser: Theilnahme, Be- 
wegung, Leidenschaft. Grossc Momente treten an uns heran und rüt- 
teln uns aus miissiger Behaglichkeit und geistiger Erschlaffung. Der 
tragische Kampf erfrischt und reinigt wie das Gewitter. Wer ewig im 
grossartigen, thätigen, tragischen Leben steht- die Römer der grossen 
Zeit  hat darum nicht nach dem Tragischen in der Kunst Bedürfniss; 
wer unbedeutend und quietistisch ist, scheut das 'I'ragisehe. 
Das Tragische hat auf den höheren Stufen ein grossartiges reli- 
giöses Moment in sich, indem es uns, richtig verstanden, das Maass des 
Menschlichen zeigt. Die freie Kunst hält uns darin den Spiegel der 
Weltordnung vor, die Grösse und Granze unserer Kräfte; die Sühnung 
zeigt das vernünftige Walten der Vorsehung, des Schicksals. Im 
Tragischen wird das Erhabene zum verbrennenden Phönix, der aus der 
Asche in reinerem Glanze entscliwebt. Die Räthsel werden darin ent- 
siegelt und über Tod, über Furcht und Thränen hinweg, schauen wir 
in die höhere, göttliche Harmonie. 
	        
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