Volltext: Populäre Aesthetik

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'l'ragische. 
Ausdruck. Dies Gewissen ist an und für sich schon die Macht des 
Volkes, der Zeit; wer mit ihm zerfallen ist, der kämpft gegen die Ge- 
sellschaft, gegen die Volkssitte, den Glauben  wenn wir die Stimme 
des Gewissens nicht noch höher und zwar als unmittelbare innere Got- 
tesstimme auffassen wollen, wodurch der Kampf in das Allerhöchste 
versetzt wird. Ein solcher innerer Zerfall durch Schuld hat also allein 
schon die Macht, seinen Träger zu stürzen, das Gefass zu sprengen, in 
dem er gährt. Kommt zu seinem Schrecken nun noch äussere Be- 
drangniss, namentlich eine durch die Schuld hervorgerufene, so lässt 
sich leicht einsehen, dass auch das lürhabcnste und Gewaltigste er- 
liegen muss. 
Zwiefaches wird für das Tragische durch die Schuld erreicht. 
Erstens erklärt sie das Verderben, welches nun hcreinbricht über das Er- 
habene; dasselbe gilt auch für das Schöne, Reizende u. s. w., wo es 
den traurigen und rührenden, überhaupt aber den schlimmen Ausgang 
herbeiführt; das Uebel wird in Zusammenhang gesetzt und das Zu- 
fällige, Unmotivirte und lilntsetzliche (larin aufgehoben. Das Schicksal 
stürzt nicht mehr aus Bösivilligkeit oder blinder Unvernunft über sein 
Olafer, sondern es ist von ihm selber bcsclnvorcn. Das Schicksal oder 
die Gottheit beneidet und hasst nicht mehr das Schöne, Reine, Grosse, 
wodurch sie gemein, tödtlich-kalt und grausam, eine Gottheit des 
Schreckens wird, sondern die Schuld weckt den Rächer; aus einer 
barbarischen Grausamkeit des Geschieks wird Strafe und Sühnung. Es 
ist ein Unterschied, 0b Apollo und Diana die Kinder der Niobe vor den 
Augen der versteinernden Mutter erschiessen, weil sie mehr Kinder 
geboren, als die Lcto; oder ob Niobe sich übermüthig eines Triumphes 
über die Leto rühmt und nun von den furchtbaren Pfeilen belehrt wird, 
wie wenig sich der Mensch mit den Göttern messen darf. 
Natürlich darf die tragische Schuld keine niedere, gemeine, er- 
bärmliche sein, schon deswegen nicht, weil sie ja dann das Erhabene 
aufheben würde. Doch brauchen wir uns hierbei nicht lange aufzu- 
halten. Man ist über das Motiv eines Lötfeldiebstahls für das soge- 
nannte Tragische hinaus. Derartige Contlicte sind bedauerlich, wider- 
wärtig, traurig, Alles, nur nicht tragisch. Das Niedere, Kleinliche und 
was es nun sein mag, ist ausgesehlossenl Keine Schuld, kein Ver- 
brechen darf uns vorgeführt werden, das nicht ausserordentliche Kraft 
voraussetzt; immer muss in der tragischen, in dieser Weise gestürzten 
Person eine gross angelegte Kraft erscheinen, die leider ins Böse ge- 
fallen ist. In den Räubern ist Spiegelberg eine Canaille, deren Ende das 
Gegentheil vom Tragischen ist. Franz Moor ist scheusslich und ein 
Feigling obendrein, der wie ein Hund stirbt. Auch Karl Moor ist 
leider nicht echt tragisch und im leichtsinnigen, gross angelegten Ver- 
brecher stecken geblieben. Verbrechen sind tragisch verwendbar, wie 
schon beim Erhabenen, welches das Böse zeigen kann, bemerkt wurde,
	        
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