Das Tragische.
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gemacht, aber er ist unzureichend. Die Ursache des Todes bleibt zu
klein durch die einzelnen Persönlichkeiten, um das Verderben des
Grösseren tragisch zu machen. Aber König Attila stirbt an einem Blut-
sturz in der Brautnacht mit einer jungen, neuvermahlten Gattin. Nun
wird diese Gattin zur lilörderin gemacht cr hat ihr den Vater, die
Brüder getödet. Hier ist der Zufall tragisch geliehen. Es ist die
Gattin, nicht ein feindliches Weib oder ein feindlicher Bogenschütz.
Es ist die Gattin gegen den Gatten, eine Königin gegen einen König
gesetzt. Dass Moreau durch eine Kanonenkugel fallt, ist ein blinder
Zufall; dass er durch einen der ersten Schüsse fallt, da er auf das
Schlachtfeld gegen seine Landsleute kommt, erscheint nicht mehr als
ein solcher. Ein bekanntes Beispiel giebt uns das Schicksal Fiescos
Fiesco empört sich gegen Doria und siegt. Er will eine Galeere im
Hafen besteigen, gleitet auf dem hinüberfiilirenden Brette aus, fallt ins
Wasser und ertrinkt. Das war ein zufälliges Ende. Schiller suchte
diesen Zufall auszumerzen, indem er die Figur des Verrina schuf, der
Fiesco ins Wasser schleudert, da er sieht, dass derselbe nicht Genuafs
Freiheit, sondern nur die eigne Herrschaft bezweckt. Ich sagte schon,
dass Verrina, der einzelne Mann ohne ein halbes Genua oder ganz
Genua hinter sich, gegen Fiesco kein richtiges Gegengewicht abgeben
kann; der Stoss von hinterrücks, der Fiesco aus Sieg und Leben wirft,
ist missfallig. Nur Verrina hat etwas Tragisches dadurch, dass er den
Liebling tödten muss, auf den er so grosse Hoffnungen gesetzt hat.
Das ganz Gewöhnliche ist an und für sich schon vom Tragischen
ausgeschlossen. Wenn ein Erhabenes auf gewöhnlichem Wege zu
Grunde geht dass ein Mensch stirbt, wenn er alt ist, ein Bau von
der Zeit verwittert und zusammenfallt u. s. w. so ist das ganz wahr-
heitsgemäss, mag auch höchst bedauerlich sein, wird aber nur unter
besonderen Umständen tragisch erscheinen.
Es ist ein alter, schon von Aristoteles aufgestellter Satz, dass für
das Tragische nicht durchaus tadellose Charaktere verwandt werden
sollen. Sehen wir das ganz Reine in tragischem Ausgang enden, so
wird das Gefühl des Unwillens uns leicht übermannen und mit einer
Bitterkeit und Verletzung, mit einem Verdruss gegen das Feindliche
erfüllen, der die Harmonie, irelehe jedes Kunstwerk geben soll, voll-
ständig zerreissen oder gar nicht aufkommen lassen würde. Statt mit
einer Versöhnung in unserem Gemüthe, endet Alles in schrillen Disso-
nanzen. ilVir werden bei der Tragödie hierauf zurückkommen; seilen
jetzt kann man daraus ersehen, dass das reine_Mä.rtyrerthum hiedurch
von ihr ausgeschlossen ist.
Es ist klar, dass bei einem Kampfe gegen eine fremde Macht
nichts verderblicher wirkt, als wenn ein innerer Zwiespalt hinzukommt
und die Kräfte gegeneinander wiithen, die zum Zusammenwirken be-
stimmt sind. Solchen Zwiespalt giebt die Schuld; das Gewissen ist ihr