Volltext: Populäre Aesthetik

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Tragische. 
Das 
Natürlich kann man nicht beliebige derartige llrlächte sich schaffen, 
um das Erhabene dadurch zu stürzen. Nicht jede Satzung repräsentirt 
die Volksmasse, nicht jede Anschauung oder Gegenansicht oder Wider- 
streit der Menge hat die Macht, von der hier die Rede ist. Man kann 
darüber nur den Satz aufstellen: Alles an seinem Platze. Wenn die 
Alten Schicksalstragödien dichteten, so hatte das einen Sinn; nament- 
lich wenn sie, wie sie es thaten, Schicksal und Schuld zu verflechten 
wussten; wenn ein Dichter heutigen Tages im Geiste der Alten eine 
Schicksalstragödie schreibt  einen Oedipus z. B.  so hat das 
gleichfalls einen Sinn; wenn uns aber Jemand ein grasses Schicksals- 
stück imheutigen Stil und aus der modernen Zeit bringt, wo kein 
Mensch mehr an eine derartige Einwirkung des Schicksals glaubt, so 
ist das eine grobe Nachahmung oder eine Verkehrtheit oder es wird zu 
einer Farce. Ebenso wenn heute Jemand mit Urtheilen und Vorur- 
theilen operiren wollte, die längst abgethan sind oder uns nur noch 
albern dünken. 
Kleinlich darf eine solche Macht überhaupt nicht erscheinen. Am 
besten wird darum auch hier sein, wenn der Künstler zu den ewigen, 
immer sich findenden Gegensätzlichkeiten hinabzusteigen weiss, um aus 
ihnen die tragische Macht heraufzuholen. Auch hierin muss er sich 
vom Zufälligen, wie es wohl Geschichte oder Gegenwart lehrt, fern- 
halten, um Bleibendes zu erzielen. 
Der Zufall, um diesen wichtigen Factor des Bebens ins Auge zu 
fassen, ist als gewöhnlicher blinder Zufall für das Tragische nicht zu 
gebrauchen. Seine Disharmonie stört uns; sie verdriesst, erscheint 
hässlich, wenn sie das Erhabene trifft. Nur wenn wir eine tiefere Ver- 
bindung zwischen dem Zufall und dem davon Betroffenen entdecken 
oder zu entdecken glauben  im ersten Falle hört er dadurch voll- 
ständig auf, noch Zufall zu sein  kann er als Macht auftreten. Wenn 
ein Mann durch eine stürzende Bildsaule erschlagen wird, so kann das 
ein blinder Zufall sein; wenn aber die Bildsaule eines Ermordeten auf 
den Mörder fällt und diesen erschlägt, so ist das kein blinder Zufall 
mehr für unsere Betrachtung. Wir sind versucht eine höhere Schickung 
darin zu sehen. 
 Pyrrhus wird beim Sturm einer Stadt von einem W eibe mit einem 
Ziegelsteine todt geworfen; Richard Löwenherz fällt durch einen Pfeil- 
schuss; darin liegt für Soldaten nichts Aussergewöhnliches: es ist 
ein Zufall oder (lurch Geschicklichkeit bewirkt, dass Stein und Pfeil 
trafen. Hierin liegt also nichts Tragischcs an sich. Das ästhetische, 
alles Berleutentle gern tragisch ausstattende Gefühl arbeitet darum so- 
gleich in der Sage, eine Verbindung herzustellen. Dort wird es die 
Mutter, die den Pyrrhus tödtet, weil er ihren Sohn verfolgt; hier wird 
es ein Bogenschütze, dem Richard die Anverwandten erschlagen. Der 
Versuch einer Besserung des Zufälligen und Gewöhnlichvn wird dadurch
	        
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