Kirchlich-politische
Gestaltung
des Abendlandes.
eine Stellung zu gewinnen, welche den neuen Anforderungen ent-
sprach und so viel als möglich von den alten Rechten bewahrte.
Ganz ähnlich wie dem Papstthume erging es den weltlichen In-
stitutionen, dem Kaiserthum, dem Lehnsstaat, der Ritterschaft;
auch sie konnten sich in ihrer bisherigen Idealität nicht erhalten,
sondern mussten eine neue Basis zu gewinnen suchen. Das System
persönlicher Verpflichtungen und Privilegien, das dem Lehnsstaate
zu Grunde lag, entsprach den neuen, durch die Entwickelung der
Civilisation und das Aufkommen des Bürgerstandes gebildeten Ver-
hältnissen nicht mehr; die Gemeinsamkeit der Interessen in den ver-
schiedenen Provinzen und in den gesonderten Ständen forderte eine
kräftigere Verwaltung, ein strammer angezogenes Band der National-
einheit und bot dem, der diesen Bedürfnissen ganz oder theilweise
zu genügen wusste, einen Zuwachs" an Macht. In Italien war die
Entscheidung nicht zweifelhaft; da das Kaiserthum auf eine wirkliche
Regierungßinen Anspruch machte, und der Adel längst unterworfen
war, blieben nur die factischen Inhaber der 'l'eri'it0rien auf dem
Schauplatze. In den übrigen Ländern dagegen war die feudale Glie-
derung noch vollständig erhalten, neben dem Landesherrn "die grossen
Vasallen und der ritterliche Adel, und es fragte "sich, welche Stellung
jeder von ihnen in der neuen Ordnnng der Dinge einnehmen sollte.
"Dies war, da jeder gewinnen, keiner Opfer bringen wollte, da die
Lage der Dinge von jedem Standpunkte aus anders erschien, der
Gegenstand eines hartnäckigen Kampfes, der bald im Wege der Ver-
handlung, bald aber auch mit blutigen Waffen geführt wurde und
in jedem Lande einen andern Gang nahm und zu anderen Resul-
taten führte.
In Frankreich und England war der Uebergang vom Lehns-
staate zum nationalen Königthume schon einigermaassen vorbereitet.
Der Krieg, den beide Völker gegen einander im vierzehnten Jahr-
hunderte geführt hatten und im" folgenden fortsetzten, hatte das Na-
tionalgefühl und das Bedürfniss einer starken, einheitlichen Regie-
rung mächtig angeregt. Besonders bei den Franzosen, welche den
Kampf auf ihrem eigenen Boden mit ansahen und dadurch in ihren
heiligsten Gefühlen verletzt wurden, steigerte sich dies bis zu einer
schwärmerischen Begeisterung für das nationale Königthum, welche
alle Stände ergriff und in der Ritterschaft mit den Begriffen der
Ehre und des Anstandes verschmolz. Dies bewirkte denn, dass selbst
der schwache Karl VII. im Stande und fast genöthigt war, Maass-
regeln durchzuführen, welche die monarchisclie Regierung mehr als
alles Andere förderten. Schon 1439 wurde die Befugniss, Kriegs-