Kirchlich-politische
Gestaltung des Abendlandes.
macht hatte, war es den Päpsten leicht, wenigstens im Innern ihres
Landes die höchste Gewalt zu behaupten. Schon Martin V., aus dem
alten streitlustigen Geschlechte der Colonna, aber vom Constanzer
Concil auf den päpstlichen Stuhl erhoben, hielt seinen Einzug in
Rom an der Spitze eines Soldheeres, und seine Nachfolger, selbst
Nicolaus V., der Freund und Gönner der Humanisten, waren vor
Allem darauf bedacht, sich in ihrer Landesherrlichkeit zu befestigen
und gegen plötzliche Angriffe ihrer Unterthanen zu sichern. Freilich
waren sie dann aber auch genöthigt, die Interessen ihres Landes nach
aussen hin zu schützen; auch hier waren sie nicht mehr blos das
Oberhaupt der abendländischen Christenheit, sondern zunächst ita-
lienische Fürsten, die sich gegen die Uebergriife ihrer Nachbarn oder
sonstige fremde Einliüsse sichern, gefahrdrohenden Bündnissen vor-
beugen, überhaupt sich auf die Winkelzüge der Politik einlassen
mussten. Die italienischen Staaten bildeten ein eignes, in sich abge-
schlossenes politisches System, bei dem es anscheinend auf Erhaltung
des Gleichgewichts und des Friedens ankam, während doch jeder
auch an eine Vergrösserung seiner Macht und seines Besitzes dachte.
Die Nahe der Territorien und die Mannigfaltigkeit der Beziehungen,
das Bewusstsein eines ursprünglich unrechtmässigen oder doch sehr
zweideutigen Erwerbs und die Besorgniss vor unterdrückten Gegnern
und geheimen Feinden, dann die Leidenschaftlichkeit und die Neigung
zu versteckten listigen Anschlägen, die im Nationalcharakter liegt
und durch die bisherigen Schicksale der Nation gefördert war, alles
dies gab diesen politischedHandeln ein Gepräge von Argwohn,
Hinterlist und Grausamkeit. Während sonst die politischen Händel
meistens auf einem Conflict wirklicher oder angeblicher Rechte be-
ruhen, hatte man hier das Bewusstsein, gar nicht mehr auf dem
Boden des Rechtes zu stehen; es gab kein anderes Recht, als die
Macht, keinen andern Titel des Erwerbes als Usurpation, kein
Mittel der Erhaltung als Gewalt, List und Energie. Es war kaum
denkbar, dass das Oberhaupt der Kirche in dieser unreinen Atmo-
Sphäre sich völlig rein erhalten konnte. Jedenfalls aber war die
Zeit, wo das Wort des Papstes mächtig zünden und die Reiche er-
schüttern konnte, wo es die Christenheit zu gemeinsamen, grossen
Unternehmungen sammelte, bleibend vorüber. Pius II. war der letzte
Papst, der ernsthaft an einen Kreuzzug dachte; bei 86111911 Nilßll-
folgern blieb zwar dieses Wort noch eine Zeit lang im Gebrauche,
aber als herkömmliche Phrase, auf deren Erfüllung Niemand rechnete.
Nicht blos der Egoismus der Völker und ihrer Regierungen, das Vor-
herrschen der Sonderinteressen, sondern auch die veränderte Stellung