LXXII
Carl Schnaasds Biographie.
vollen Gehaltes inne ward. Es war
einer noch unbekannten romanischen
die Zeit, wo die Entdeckung
Basilika. für uns ein Ereigniss
war, an welchem alle Fachgenossen lebendigen Antheil nahmen. In
Berlin aber concentrirte sich damals das kunstgeschichtliche Streben
mehr
als
anderswo.
Schnaasds gastliches Haus war einer der Mittelpunkte, in welchem
sich alle Gleichgestimmten zu geselligem Verkehr zusammen fanden.
Unvergesslich ist mir die liebenswürdige Warme, mit welcher der an
Geist und Bildung so hochstehende Mann, unterstützt von der fein-
sinnigen Gattin, welche mit ihm die Seele dieses harmonischen Haus-
wesens bildete, auch uns Jüngere in seine Kreise zog, und manchmal
an der Spitze einer kleinen, geistig angeregten Tafelrunde in leb-
hafter Debatte uns Alle electrisirte. Und doch begannen damals
schon, uns Allen zur schmerzlichen Besorgniss, die ersten Zeichen des
Leidens sich auszubilden, das seine späteren Jahre so oft uniflort
hat. Schnaase wohnte im zweiten Stock des schönen von Hitzig er-
bauten
Hauses
des
Bildhauers
Drake,
dicht
3111
Thiergarten.
An
milden Tagen nahm man dann nach Tische wohl den Kaffee auf dem
Balkon, der den vollen Blick auf die gegenüberliegenden Gärten der
Wilhehnsstrasse mit ihren hohen Baumgruppen gewährte. Es waren
schöne Stunden, die dort dem kleinen Kreise in ernsten und heiteren
Gesprächen verilossen. Niemals verliess man (las Haus, ohne den
erquickenden Eindruck von Harmonie, Ruhe und Klarheit mitzu-
nehmen, ohne von dem edlen, von lauterster Humanität durchwehten
Wesen dieses seltenen Paares sich geläutert, von dem reinen und
hohen Geiste des ausgezeichneten Mannes sich bereichert zu fühlen.
Hob er uns zu sich hinauf, so blickten wir nur um so dankbarer
voll bescheidener Pietät zu ihm empor. Ich muss überhaupt hier
das schöne eintrachtige Zusammenwirken aller Elemente dieses Kreises
als eine selten im wissenschaftlichen Leben sich darbietende That-
sache hervorheben; denn auch Waagen und Kugler kamen der jün-
geren Generation mit gleichem Wohlwollen entgegen, und kein Miss-
ton trübte die Harmonie dieses Zusammenwirkens, von dessen Reg-
samkeit die neun Jahrgänge des „Deutschen Kunstblattes" Zeugniss
ablegen.