Carl SchnaaseFs Biographie.
LXVII
Christ geworden wäre, wie jetzt; ich halte das grosse Wunder der
Erhaltung des (fhristenthuins durch die Reihe der Jahrhunderte, der
Umgestaltung der ganzen sittlichen Welt durch dasseslbe für den
stärksten Beweis seiner Wahrheit, und halte denjenigen, welcher durch
die Betrachtung dieses Wunders die Ueherzeugung gewinnt und (lurch
Sie zum Christenthuni gelangt, für einen ebenso legitimen Gläubigen,
zur lürkennt-
der anderer
wie jeden andern. Ich weiss überhaupt nicht, wie man
niss der Heilswahrheiten auf anderem Wege als zu
Wahrheiten gelangen könne, wir lernen Alles (lurch Vernunft und
ldrfzthrung, und so auch jene. Gott hat die Thore seines Reiches für
Alle geöiiiiet, und jene engherzig Gläubigen versündigen sich an ihren
Mitmenschen, wenn sie denselben die Predigt des Glaubens nicht in
jener einfachen, allen verständlichen Weise vortragen, und bei den
Tragen oder Widerstrebenden den Wahn erwecken, dass der Glaube
eine besondere Begabung, einen sechsten Sinn, voraussetze. Es ist
ein
Missbrauch,
jetzt
noch
Rationalismus zu reden,
VOII
nm-Juleln
jene
heuchlerische oder doch laue Parthei unter den Theologen ausge-
storben ist und uns vielmehr die Gefahr einer ganz anderen, weit
gefährlicheren und feineren Heuchelei droht. Allerdings gibt die
blosse Verstandeserkenntniss noch nicht den seligniachenrlen Glauben;
wer bei jener Erkenntniss kalt bleibt, nicht die innere Erfahrung
von ihrer Wahrheit, von der Nähe Gottes und seiner in uns spre-
chenden Stimme macht, nicht (ladurch tief innerlich erschüttert zur
Busse und zur Erneuerung seines Lebens geführt
kein Christ im wahren Sinne des Wortes, sondern
wird, der ist
ein trockener
110011
Ver-
standesmensch, in diesem ungewöhnlichen Sinne ein Rationalist. Aber
so gewiss dies in abstracto, so schwer, ja unmöglich ist es, darüber
m concreto zu urtheilen, und ein solches Urtheil ist geradezu un-
christlich. Auch wird es wohl einerlei sein, 0b einer durch innere
Herzenserfahrungeii (etwa durch eine plötzliche Erkenntniss der Sünde,
oder durch eine wunderbare Rettung) zum Christenthuni bekehrt
wird, oder ob ihm diese Erfahrungen zu Theil werden, nachdem ihm
(lurch verständige Beweise über die Echtheit der Lehre die Augen
geöffnet wurden.
Aus dieser falschen Stellung zur ilernunft iliesst alles Uebrige.
u.