Schnaasds Biographie.
Carl
LXV
aber nichts Ahstractes, in eine feste Formel Gebanntes. Sein edler
Geist, der alle Tiefen des Wissens durchmessen hatte, fühlte sich
doch allein glücklich und heimisch in dem Bewusstsein des innigsten
Zusammenhanges mit Gott, dessen lebendiges Walten er in den Ge-
schicken des Einzelnen wie der Menschheit erkannte. Nichts lag
ihm ferner als Zelotismus und die fanatische Orthodoxie der Wort-
gläubigen. Sein ganzes reines Leben war ein Gottesdienst, sein
tiefstes Herzensbedürfniss der innigste Zusammenhang mit der christ-
lichen Gemeinde in der Lauterkeit evangelischer Gesinnung. Denn
so häuiig in den romantischen Strömungen seiner Jugendzeit die
Hinneigungen zum Romanismus waren, seine klare Ueberzeugung
wurzelte ohne Wanken in dem protestantischen Bekenntniss. Dess-
halh nahm er auch den wärmsten Antheil an der Entwicklung der
kirchlichen Verhältnisse, sein Verkehr mit Männern wie Bethmann-
Hollweg, Uechtritz, Grüneisen drehte sich hauptsächlich um die mit
Eifer von ihm verfolgten Zustände der evangelischen Kirche. Wenn
er dabei weit entfernt war von den Strömungen des Rationalismus
und den Bestrebungen der Reformer, so trat er mit nicht minderer
Bestimmtheit der Anmaassilng einer starren, wortklaubentlen Ortho-
doxie entgegen. Er war der Ansicht, dass diese zelotische, einseitige
Richtung der Wahrheit des kirchlichen Lebens weit empfindlicheren
Abbruch thue, als alle oppositionellen Bestrebungen es irgend ver-
möchten. Auch hier bewährte sich die Milde eines im tiefsten
Herzensgrunde gläubigen,
erkennenden Gemüthes.
das Wesen
des
Christenthums
der
Liebe
Um seine religiösen Anschauungen etwas klarer zu beleuchten
möge ein Brief an Uechtritz hier eingefügt werden: „Ich habe mich
in diesen Zeiten der Einsamkeit viel mit religiösen Fragen beschäftigt,
die ich gern mit Dir besprache, freilich würde das schriftlich zu
weit führen, indessen will ich doch versuchen, 0b ich Dir, dem ein-
gehenden und meine Ausdrucksweise so genau kennenden Freunde,
über Einiges verständlich werden kann. Es kam mir zunächst. darauf
an, mich mit den s. g. Frommen auseinander zu setzen, mich zu
prüfen, woran es eigentlich liegt, dass ihre Weise, obgleich ich Warme
des Glaubens und der Liebe bei ihnen anerkennen muss, mich abstösst,
Schnaasäs Kuustgesch. VIII. e