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Filippo Brunellesco.
es einzugestehen. Nur in dieser Zeit des Ueberganges, wo das Be-
dürfniss des geistigen Zusammenhanges noch bestand, aber doch
schon der Individualität grösseren Spielraum liess, war eine solche
Wirksamkeit möglich. Aber dennoch war es das Verdienst Bru-
nellesco's, dass er sofort das Richtige traf und, indem er mit seiner
willensstarken Persönlichkeit die Schranken des Hergebrachten brach,
die Principien fand, welche ihn leiten und vor dem Verirren in
wüste Willkür bewahren konnten. Es war zunächst die Natur, an
die er sich hielt. Zuerst die abstracte, mathematische und statische
Natur, die Grundlage architektonischer Construction, die er tiefer
zu ergründen und kühner zu beherrschen strebte, als seine Vor-
gänger. Dann aber auch die wirkliche, organische Natur, die er
mit bildnerischer Neigung in der Ornamentation reproducirte. Die
Vermittelung zwischen beiden, zwischen jener ersten und dieser letz-
ten Aufgabe, gewährte ihm dann allerdings die antike Kunst, die er,
nach der in Italien herrschenden Stimmung, als die Vaterländische
und in Folge seiner Studien als seine Lehrerin und als eine durch-
bildete, meisterliche Leistung verehrte. Aber sie war ihm nicht
Zweck, sondern Mittel. Es fiel ihm nicht ein, antike Bauten zu
copiren, moderne Bedürfnisse in ein ihnen fremdes Kleid zu hüllen.
Er suchte an der Antike nur das Wahre und Richtige zu lernen;
sie war ihm die Vertreterin und Verkündigerin der Natur oder doch
das Mittel, sich gegen Willkür und unsicheres Umherirren zu schützen.
Er vertraute, dass sie die in dieser begründeten, aber verborgenen
Gesetze gefunden und ausgeübt habe, und folgte ihr darin, so lange
er zweifelte. Wo er diese Gesetze selbst erkannt zu haben glaubte,
ging er seinen eigenen Weg, und auch wo er die antike Form an-
wandte, war es immer sein eigenes, allerdings durch den Umgang
mit ihr geübtes und gestimmtes Gefühl, welches Maass und Ver-
hältnisse zu bestimmen und die Harmonie zwischen den verschiedenen
Elementen zu halten lehrte. Das Persönliche ist also schon in höhe-
rem Grade, als auf früheren Stufen der Baukunst, das Entscheidende,
aber es tritt bei ihm noch so mässig, so von objectiven Stoffen er-
füllt auf, dass es noch keine persönliche Reaction hervorrief, sondern
für seine Nachfolger lange Zeit hindurch maassgebend wurde.