LXII
Schnaasäs Biographie.
Carl
Hier trat Schnaase als selbständiger Forscher in die Reihe der Mit-
strebenden und bewahrte bei allen einzelnen Fragen eine eindringende
Schärfe kritischen Blicks, eine strenge Objectivitäit der Untersuchung,
eine unbestechliche Unparteilichkeit des Sinnes, bei der man an die
berufsinassige Gewohnheit richterlichen Abwägens und Entscheidens
auf's Wohlthuendste erinnert wird. Dieser Eindruck Wirkt um so
erfreulicher, wenn man bedenkt, wie oft subjective Gereiztheit und
Leidenschaftlichkeit in wissenschaftlichen Streitfragen die Würde der
Sache verletzt. 1m Gegensatz zu solchen Erscheinungen weht uns
aus Schnaases Darstellung überall eine wahrhaft vornehme Ruhe an,
die aber (lurch einen starken Hauch von Empfindung glücklich vor
Kalte bewahrt wird.
Diese Warme brachte er vor Allem den Schöpfungen des Mittel-
alters entgegen. Es lag derselben nicht bloss das natürliche Inter-
esse zu Grunde, welches der Forscher stets den noch jugendlichen,
aufblühenden Epochen entgegenbringt; auch die tiefreligiöse, echt
christliche Grundstimmung seines Wesens hatte ihren Theil daran.
Dennoch veirleitete ihn dieselbe nicht, nach der Weise gewisser
tendenziöser Lobrerlner des Mittelalters, jene Epoche in schönfär-
bender Weise zu schildern. Er bleibt auch hier überall der Mann
streng wissenschaftlicher Forschung. Aus seinem erschöpfenden Stu-
dium, nicht blos der Kunstwerke, sondern auch der literarischen Er-
zeugnisse jener Epoche, erwächst ihm ein Bild, irelches, von den ba-
nalen Schlagworten sowohl der Vergötterer, als der Anschiväirzei- des
Mittelalters frei, die Lichtseiten, wie die Schattenpartien gleichmassig
heraushebt und dadurch zu einer Schilderung des Culturlehens der
treibenden Machte, der wundersam verwickelten und widerstrebenden
'l'endenzen jener Zeit, sich gestaltet, wie es so tiefsinnig, so lebens-
voll nirgendivo in unserer Literatur zu finden ist. Nur ein von
wahrhaft historischem Geiste erfüllter grosser Geschichtsschreiber
vermochte eine solche Darstellung zu entwerfen und (lurchzuführen.
Die fünf Bände seines Werkes, wrelche ausschliesslich der Kunst des
Mittelalters gewidmet sind, haben vorzugsweise den Anspruch auf den
Ehrentitel einer klassischen Schöpfung.
Inzwischen wurde das Fortschreiten der Arbeit theils durch die