Studien nach der Antike.
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wurde. Ghibertfs Relief ist sehr viel einfacher, aber voller Anmuth
und Würde, und dürfte auch bei heutigen Beurtheilern die Stimmen-
mehrheit für sich haben.
Jedenfalls machte der Hergang, wie er auch gewesen sein möge,
auf Brunellescds ehrgeiziges Gemüth einen tiefen Eindruck; er sah,
dass er noch anderer Mittel, noch tieferer Studien bedürfe, um die
erste Stelle in Anspruch nehmen zu können. Er wanderte daher,
und zwar in Gemeinschaft mit dem noch sehr jungen Donatello,
nach Rom, wo sie beide anfingen, eifrig die antiken Ueberreste zu
durchforschen. Ob dies die erste Studienreise dieser Art gewesen,
muss dahin gestellt bleiben. Durch den Einfluss der in den nörd-
lichen Ländern ausgebildeten gothischen Kunst war das Auge der
Italiener geweckt. Die stumpfe, gewohnheitsmässige Nachahmung
der antiken Formen, die man gerade vor Augen hatte, hörte auf;
sobald die mit Anstrengung erlernte fremde Kunstweise einheimisch
geworden war und den Reiz der Neuheit verloren hatte, fing man
an, sie mit den antiken Ueberresten zu vergleichen. Die Verehrung
für das klassische Alterthum, welche seit Dante mehr und mehr die
Gemüther ergriff, musste dahin führen. Petrarca spricht wenigstens
für die Sculptur den Vorzug der Antike nicht bloss als seine Ueber-
zeugung, sondern als eine von Niemand geleugnete Thatsache aus.
Orcagna macht in seinen Bauten schon leise Versuche, die herr-
schende gothische Forni der antiken zu nähern. Es konnte daher
nicht fehlen, dass einzelne strebende Künstler diese besser kennen
zu lernen suchten und sich daher dahin wendeten, wo noch die
grössere Zahl ihrer Ueberreste erhalten war. Auch Ghiberti, Bru-
nellescds Zeitgenosse und Nebenbuhler, spricht nicht bloss seine Be-
geisterung für die Antike mit den stärksten Worten aus, sondern
war auch, wie wir durch ein beiläufiges Wort seiner Commentarien
erfahren, in Rom gewesen und hatte daselbst die Entdeckung einer
vorzüglichen antiken Statue erlebt. Aber wenn auch nicht die ersten,
waren es doch die gründlichsten und erfolgreichsten Studien dieser
Art, die bis dahin vorgekommenwaren, und für Brunellescds Schick-
sal entscheidend. Hatte er früher, nach der Weise seiner Zeit, sich
mit der Baukunst nur neben anderen Kunstleistungen beschäftigt, so
wurde er nun, während er die Ruinen nach Sculpturen durchsuchte,
von der Schönheit und Solidität der Architektur so ergriffen, dass
er sich ganz dieser Kunst widmete, sie mit leidenschaftlichem Eifer
an den antiken Bauten studirte und sich durch Zeichnung und Ver-
meggung ihrer Glieder eine vollständige Kenntniss ihrer Stylarten,
Verhältnisse und Technik zu verschaffen strebte. Sein Eifer riss