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Historische Einleitung.
Gedanken der Liebe, also doch eines zärtlichen Verhältnisses der
Geschlechter, aber gereinigt von Allem, was es vorwurfsvoll oder
bedenklich machen könnte, ins Auge zu fassen, ihn sogar als das
Edelste und Herrlichste zu preisen, das war eine für die italienische
Phantasie unendlich anziehende Aufgabe, eine feine Schwelgerei, der
man sich ohne Gefahr hingeben zu können glaubte. Dass dies denn
doch seine Nachtheile habe, dass jene Gedanken denn doch sehr un-
bestimmte und abstracte seien, die bei dem Versuche ihrer Verwirk-
lichung leicht in ihr Gegentheil umschlagen könnten, dass selbst im
günstigsten Ifalle die anhaltende Beschäftigung mit solchen, gesunder
Lebenskraft entleerten Vorstellungen das Gemüth verweichlichen
müsse, bemerkte man nicht, oder wollte es doch nicht eingestehen.
Man hat oft die Frage aufgeworfen, wie es zu erklären, dass
die italienische Literatur in diesem ihrem goldenen Zeitalter kein
einziges bedeutendes dramatisches Werk hervorgebracht habe. Die
Ursache liegt ohne Zweifel in dem Individualismus, in dem die Nation
von ihrem ersten geistigen Auftreten an befangen war und sich immer
mehr bestärkte. Das wahre, ergreifende Drama setzt eine feste,
sittliche Basis voraus, die Existenz sittlicher Gesetze, deren Be-
grenzung und deren Verhaltniss zur menschlichen Freiheit zwar
dunkel und daher Gegenstand des Zweifels werden kann, deren Ver-
letzung aber nicht ungestraft bleiben darf. Die Italiener dieser Zeit
hatten solche sittliche Basis nicht mehr. Indem sie sich in die
Wiederbelebung des Alterthums hinein geträumt und die Frivolitat
des früheren und die Abstractionen des späteren Humanismus durch-
gemacht hatten, hatten sie allmälig den sittlichen Boden des Christen-
thums verloren, ohne auf dem der antiken Welt festen Fuss fassen
zu können. Die politischen Schicksale, denen das Land unterlag,
die Kämpfe der Fremden auf italienischem Boden und die bleibende
Herrschaft derselben in einigen Provinzen, hatten für jetzt noch
keinesweges einen so bedeutenden Einfluss auf die geistige Richtung,
wie man glauben sollte. Es waren sogar Vortheile mit diesem Un-
glück verbunden. Der Gesichtskreis wurde erweitert; man war nicht
mehr so ausschliesslich auf die elenden Intriguen von Condottieren
und kleinen Tyrannen hingewiesen, musste, schon um der Gefahr
völliger Unterwerfung vorzubeugen, die Welthandel, die Politik der
grossen Mächte im Auge behalten. Der italienische Patriotismus
war verletzt, in gewissem Grade gedemüthigt, aber doch auch an-
gefegt, wach gerufen. Die Nationalliteratur gewann dadurch eine
grössere Bedeutung; es war nicht mehr die Zeit, sich ganz den
Träumen von antiker Grösse hinzugeben. Man hatte Ursache, nach-