Geistiger Sybaritismus.
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den officiell auftretenden heiligen Vater ganz in derselben mytho-
logischen Sprache reden lässt. Jene ernste christliche Gesinnung,
welche wir an Einzelnen das ganze fünfzehnte Jahrhundert hindurch
verfolgen konnten und welche in Savonarola gesteigert erschien, war
nicht bis in die Höhe der Literatur gedrungen. Eine gewisse Re-
aßtion gegen die Frivolität aus den Jugendjahreu des Humanismus,
und besonders gegen die Schamlosigkeit Alexanders VI. und seines
Hofes war zwar unverkennbar eingetreten, aber sie war mehr eine
Sache des Anstands und Geschmacks, als der Religiosität, und wenn
überhaupt religiös, mehr theistisch, als christlich. Sie hing mehr
mit den platonisirenden Ideen aus dem Kreise des Lorenzo von
Medici, als mit den sittlichen Gedanken des Evangeliums zusammen.
Man war weit entfernt, die tiefe Verderbniss der menschlichen Natur,
die Sünde, die selbst dem Edelsten und Besten anhaftet, und die
darauf beruhende relative Gleichheit aller Menschen vor Gott, zu
ahnen, sondern schwärmte für eine Vollkommenheit des Individuums,
die man mehr durch Beschäftigung mit dem Hohen, Reinen und
Schönen, als durch Selbsterkenntniss zu erlangen strebte. Es war.
die Vorstellung einer geistigen Aristokratie, die sich über das Ge-
meine zu erheben habe; es wurde möglich, dass man, um die Eigen-
schaften des vollkommenen Menschen auszumalen, vorzugsweise die
Gestalt des durchbildeten Hofmannes wählen konnte. Jene Theorie,
die wir schon bei den Vorgängern Dante's beobachtet haben, die
vielleicht kein eigenthümliches italienisches Erzeugniss, sondern aus
der Ritterdichtung des Nordens entlehnt, die aber doch erst in Italien
aus den Schranken des Standesmässigen heraus zum allgemein Mensch-
lichen erhoben und geistig ausgebildet war, die Theorie der Er-
ziehung der edlen Seele durch das Wohlgefallen an der Schönheit und
durch die Liebe, war durch den Platonismus geläutert und sanctionirt,
und es kam nun bei der weiter fortgeschrittenen Bildung nur darauf
an, sie völlig von dem Schulstaube alter und neuer Scholastik zu
reinigen, um den besseren Theil der Nation, die jetzt weiter aus-
gedehnte gebildete Gesellschaft, damit zu durchdringen. Dies war
die Aufgabe, welche mehrere schöne Geister dieser Zeit, der Graf
Castiglione in seinem Corteggiano, Bembo in den Asolani in Aus-
übung zu bringen suchten, beide in der damals durch die Ver-
ehrung für Plato sehr in Aufnahme gekommenen Form des G9.
sprächs, aber, da es eben auf eine allgemeine Theilnahme besonders
auch der Frauen ankam, in italienischer Sprache. Der Erfolg war
immens; sich mit dem Begriffe der Schönheit zu beschäftigen, ihn
zu zergliedern und in mannigfachen Beziehungen zu betrachten, den