554
Historische Einleitung.
Uebermuths in das männlichen Ernstes und verständiger Reliexion
übergegangen.
Damit hing es zusammen, dass die Poesie auch die christlichen
Gegenstände nicht mehr so wie früher übergehen zu dürfen glaubte.
Leo X. selbst begünstigte solche Unternehmungen. Als er davon
erfahren, dass der berühmte Sannazar an einem Gedichte über die
Geburt Christi (de partu virginis) arbeite, belobte und bestarkte er
ihn in diesem Vorhaben durch ein besonderes Sendschreiben. Den
Hieronymus Vida, dessen Gedicht über das Schachspiel den Papst
so entzückt hatte, dass er versicherte, ein Sterblicher könne so Vor-
treiifliches nicht ohne göttliche Eingebung leisten, trieb er an, seine
Muse nun auch einem christlichen Gegenstande zu weihen. Beide
Gedichte nahmen indessen längere Zeit in Anspruch und erschienen
erst nach Leo's Tode. Beide zeigen, dass ihre Verfasser es mit dem
Christenthume ernsthaft nahmen, dass sie ihre besten Kräfte an einen
so hohen Gegenstand setzen wollten, aber keines von beiden lasst
eine warme Begeisterung durchblicken. Sannazar ist noch ganz in
jener Mischung heidnischer und christlicher Vorstellungen befangen,
wie die Humanisten des vorigen Jahrhunderts; er lässt nicht etwa
einen der Propheten, sondern den Proteus die Geburt des Heilandes
vorhersagen, die Jungfrau wird vor diesem grossen Ereignisse als
die Hoffnung der Götter (spes fida Deorum) gepriesen, Nymphen,
Dryaden, Nereiden kommen zahlreich vor. Schon Erasmus fand dies
anstössig und Vida mag dasselbe Gefühl gehabt haben, wenigstens
verzichtet er in seinem fast zehn Jahre nach dem des Sannazar er-
schienenen Gedichte auf allen mythologischen Apparat; aber es ist
rhetorisch und frostig. Auch so aber bildet er unter den Poeten
seiner Zeit noch eine Ausnahme; alle Anderen stehen ganz auf dem
Boden des Sannazar. Die Coryciana liefert dafür eine Blumenlese;
die Heiligen, welche jene Gruppe des San Savino darstellte, werden
nicht anders als Dii, Götter, genannt, und wenn einer der Dichter
dem gastfreien Gorizius nach langem Leben die ewige Seligkeit
wünscht, so wird das dadurch ausgedrückt, dass er an den Mahlen
der Götter frohen Antheil nehmen, den irdischen Falerner mit besse-
rem Nectar vertauschen mögel). Indessen bei dieser Gelegenheit
möchte das noch als eine erlaubte poetische Licenz hingehen; allein
wie ernst es der ganzen Zeit damit war, beweisen am deutlichsten
die Bullen, welche Bembo für Leo X. abfasste und in welchen er
L
1) Vgl. für
456, 459, 527.
diese
und
die
vorhergehenden
Thatsachen
Roscoe ,