Leo's X.
Humanismus.
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Seitdem er sein Ziel, das Papstthum, und dadurch reiche Mittel zur
Befriedigung seiner Neigungen erlangt hatte, hielt er sich von den
Geschäften möglichst fern und liebte es, seinen Tag mit dem An-
hören von Musik, für die er als Kenner galt, von Improvisationen
und Vorlesungen und mit oft recht derben Scherzen hinzubringen.
Der heilige Vater verschmähete nicht, die Ess- und Trinklust des
"Archi-poeta" Querno zu reizen und zu necken, und den eiteln Ba-
raballa durch übertriebene Lohsprüche seiner schlechten Verse so zu
Steigern, daSS er an die ihm vergespiegelte Diehterkrönung auf dem
Capitol glaubte und auf seinem weissen Elephanten der Gegenstand
allgemeinen Gelächters wurde. Mit der Förderung der Wissen-
schaften nahm er es wirklich ernsthaft. Jene Inschrift, welche er bei
seinem Krönungszuge an einem von Agostino Chigi errichteten
Triumphbogen las, dass Venus und Mars (wie Jedermann verstand,
die Schutzgötter Alexanders VI. und Julius II.) ihre Zeit gehabt
hatten, jetzt die der Pallas komme, sollte eine Wahrheit werden.
Aber er verstand darunter vorzugsweise die humanistischen Studien.
Sofort bei seinem Regierungsantritte berief er Sadolet und Bembo,
die anerkannten Muster lateinischen Styls, in seinen Dienst, um der
klassischen Sprache seiner Bullen sicher zu sein. In einer derselben.
gerichtet an einen Gelehrten, der im Orient nach Handschriften ge-
forscht hatte, erklärte er es für einen vorzüglichen Gegenstand seiner
Sorgfalt, dass die lateinische Literatur unter seinem Pontifieat be-
reichert werdel). Die Dichter strömten daher nach Rom, die poli-
tische Noth schien in den Hintergrund zu treten, es entstand ein
literarischer Eifer, wie in den Tagen Nicolaus V., und grösser, als
damals, weil das Verständniss und die Uebung der lateinischen Poesie
durch die lange Dauer dieser Studien sehr erleichtert war. Wie
gross diese von dem Papste ausgehende und von Anderen nach-
geahmte Begünstigung war, mag das Beispiel eines gewissen Johann
Gorizius oder, wie man ihn latinisirend nannte, Janus Corycius be-
weisen, der ein untergeordnetes, aber einträgliches Amt bei der Curie
bekleidete und seine Einkünfte dazu verwendete, die Poeten um sich
zu versammeln und freigebig zu bewirthen, welche ihn dann natür-
lich oft zum Gegenstande ihrer Gedichte machten. Namentlich ge-
schah dies, als er im Jahre 1514 in S. Agostino in Rom eine Gruppe
der heiligen Anna mit Maria und dem C-hristuskinde, von der Hand
des berühmten Bildhauers Andrea aus Sansavino, stiftete, die all-
1) Non in postrenüs hanc quoque (curam) habendam ducimus, ut latina lingua.
nostro pontiiicatu dicatur facta auctior. Roscoe, Leo X., Appeml, N0. 98.