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Historische Einleitung.
ehrgeizigen Plane Cäsar Borgia's die Gemüther in leidenschaftliche
Gährung brachten, wo Jeder Ursache hatte, für seine eigene Er-
haltung zu sorgen, und Jeder nach unrechtmässigem Gewinne strebte,
wo der Papst selbst es kaum der Mühe werth hielt, seine Wollust
und seine Habsucht zu verschleiernl), wo Treubruch, Gift und Dolch
alltägliche politische Mittel waren, das war keine Zeit religiöser
Einigung und Erhebung. Das religiöse Gefühl zog sich zu einsamer
Trauer zurück oder äusserte sich als krasser Aberglaube. Es konnte
nur empören, wenn bei der Schandthat von Sinigaglia, wo Cäsar
Borgia die ihm gefährlichen Truppenführer unter dem Scheine freund-
licher Unterhandlung in seine Gewalt lockte und ohne Weiteres er-
würgen liess, einer derselben, Vitellozzo Vitelli, vor seinem Ende
seinen Mörder, den Sohn des Papstes, bat, sich bei diesem für ihn
zur Vergebung seiner Sünden zu verwenden. Jetzt bildete sich jene
Lebensansicht, welche Macchiavell und Guicciardini in ihren Schriften
mehr oder weniger deutlich aussprachen, welche klugen Eigennutz
als hohe Tugend der Regierenden betrachtet und von glühenden], aber
schon aus Vorsicht nur kalt und als Erfahrungssatz ausgedrücktem
Hass gegen Priesterschaft und Papstthum erfüllt ist2).
Julius II. war eine imposante Gestalt, aber durchaus weltlicher
Fürst; sein Hauptbestreben, Italien von den auswärtigen Mächten
unabhängiger zu machen, steigerte das patriotische Gefühl, zog aber
von religiösen Unternehmungen ab. Anders verhielt es sich mit
Leo X.; der Sohn Lorenzo's von Medici hatte nur die Herstellung
des Friedens und die Beförderung der Wissenschaft und Kunst im
Auge. Sein sittliches Verhalten war frei von groben Vorwürfen, sein
Unglaube, namentlich das Wort von der „Fabel von Christo", das
man so oft wiederholt hat, ist unerwiesen und beruht auf der An-
gabe eines späten und wenig unterrichteten Schriftstellers. Aber ein
Vorbild christlicher Tugend war er ebenso wenig, mit den Pflichten
des Oberhauptes der Kirche nahm er es mindestens sehr leicht.
1) Fra Benedetto im Kloster S. Marco zu Florenz in seinem Cedrus Libani:
Papa Alessandro sesto allor regnava, Ripien d'ogn' awzarizia e di lussuria. Uesemplo
del pastor ogn' uom pigliava. Perrens, a. a O.
2) Vgl. Macchiavell am Schlusse seines Berichtes über den Vorfall von Sini-
gaglia. und in der bekannten Stelle in den Discorsi Lib., I, c. 12. Guicßiardilli
in seinem Geschichtswerke wiederholt z. B. Lib. XIV, c. 5, viel stärker aber in
seinen fragmentarischen Aufzeichnungen, z. B. in der (bei Burkhardt, a- a- 0.,
S. 465 angeführten) Stelle über Luther, oder in der andern (opere inedite, I, 236),
wo er drei Dinge vor seinem Tode zu sehen eifrigst wünscht, ohne es zu hoffen:
Florenz als wohlgeordnete Republik, Italien von den Barbaren, die Welt von der
Tyrannei di questi scelerati poeti befreit.