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Historische Einleitung.
gehabt; bei seinen Nachfolgern ist dies ganz in den Hintergrund ge-
treten. Sie brauchen die tugendhaftePhrase eben nur als Redeform,
sie kennen nur den Schein. Es kommt ihnen nur darauf an, was sie
Sprechen, nicht, was sie sind; sie haben sich gewöhnt, den Aus-
druck einer Tugend schon für die Uebung derselben zu halten. Nur
das ist aus den sittlichen Begriffen Petrarca's auf sie übergegangen,
dass die höchste Bedeutung dem Individuum beiwohne. Aber die In-
dividiietlität ist bei ihnen kaum noch etwas Anderes, als die Sellläl-
siyglltwoder als die leere Form, jeden Inhalt nach Belieben anzunehmen
und abzulegen.
Bald nach der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts beginnt eine
Reaction gegen diese Stimmung, welche, wenn auch nur langsam und
zuerst auf vereinzelten Punkten vorschreitend, doch allmälig eine
gänzliche Aenderung hervorbringt. Jene Fiction der Identität des
netignhltalienvs mitdem altrömischen, von "der die Humanisten mit
genialer Leichtfertigkeit ausgegangen waren, war denn doch nicht
haltbar. Keine beider Seiten kam dabei zu ihrem Rechte. Daher
denn eine Opposition, zuerst der Gelehrten im Interesse des Alter-
thnms, dann deiwpopulären"Gefühle, die dabei unbefriedigt geblieben
waren. niäiiiimanisten hatten den höchsten Werth auf die Sprache
gelegt. Laurentius Valla bewies ihnen in einem gründlichen Werke,
dass sie dieselbemsehr unvollkommen kannten, er stellte ihnen die
Anforderung reiner Latinität entgegen und zeigte, dass es dazu viel
tieferer Studien bedürfe. Während diese philologische Kritik nur
langsam wirkte, erhob sich eine andere, kräftigere Opposition. Die
Humanisten hatten Cicero nicht bloss als Muster eleganter lateinischer
Rede, sondern auch wegen des Gedankeninhalts seiner populären
Philosophie vorangestellt. Man ging jetzt an die tieferen Quellen
antikerßWeisheit. Unter den griechischen Gelehrten, welche zu dem
Unionusconcile von 1438 nach Italien gekommen und dort zurück-
geblieben waren, bildete, wie es bei gealterten Völkern zu sein pflegt,
die Würdigung der Heroen ihrer grossen Vorzeit und daher nament-
lich auch die Abwägung der Verdienste ihrer beiden philosophischen
Heroen, des Plato und Aristoteles, einen beliebten Gegenstand der
Erörterung. Georg;i_os_ Gemistos Plethon und Bessarionl) schwärmten
für Plato, Theodor Gaza und Georg von Trapezunt waren Anhänger
des Aristoteles. Aber während ihrer fruchtlosem Disputationen bildete
sich unter den Italienern eine Partei, welche sich mit jugendlicher
1) [VgL hierzu die Geschichte der Philosophie der
Schnitze, I. Band etc., namentlich das EinleitungskapiteL]
Renaissance
VOD.
Fritz