Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

Petrarca. 
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dass ein vollkommen durchbildeter Mann über Alles zu urtheilen ver- 
stehe. Diese Fähigkeit, über Alles zu urtheilen, ist ihm aber nur 
die Gewähr für sein richtiges Handeln. Er ruft Gott an, dass er 
lieber ein tugendhafter Mann als ein Gelehrter sein wolle. Nur zu 
einer Kunst, spricht er ein Mal aus, könne er sich bekennen, dieser 
aber wolle er demüthiger Jünger sein, sie wenigstens erwünschen, 
wenn er sie nicht besitzen könne. Das sei die Kunst, die ihn besser 
mache, deren Ziel er als „Tugend und Wahrheit" bezeichnetl). 
Eine nähere Bestimmung dieser „Tugend und Wahrheit" oder 
gar eine weitere Ausführung jener Kunst oder Wissenschaft sucht 
man bei ihm vergebens. Seine Schriften, Abhandlungen, Briefe, Ge- 
dichte behandeln durchweg einzelne Gegenstände und Fragen, und 
zwar in der leichten, populären Weise, die er dem Cicero abgesehen 
hat. Wenn er seine Thätigkeit im Ganzen, das Wesen des streben- 
den Mannes, als den er sich darstellt, aussprechen will, so braucht 
er die Worte Poesie und Poeta, wobei er nicht gerade an Dichtung 
im höheren und engeren Sinne des Wortes denkt, sondern darunter 
die freie Aeusserung eines denkenden und vorgeschrittenen Mannes 
in lateinischer, dem Vorbilde der Alten entsprechender Rede, sei es 
in Versen oder in Prosa, versteht. Es kommt ihm also auf praetiseh 
moralische Belehrung in schöner Form an, wobei denn jene Ansicht, 
dass die Dichtung überwiegend Allegorie sei, stillschweigend voraus- 
gesetzt ist. 
Man sieht hieraus, die Nachahmung der Alten, welche er durch 
Rath und Beispiel empfiehlt, ist keineswegs eine sclavische; das 
patriotische Motiv, dass sie die Vorfahren der heutigen Italiener sind, 
istüitsprecliend, aber nicht ausschliesslich entscheidend. Seine Vor- 
liebe für die Antike ruht vielmehr auf (ler Ueberzeugung von ihrem 
inneren Werthe; er findet in ihr, im Gegensatzemgeg-{feh-Üdiiemgetheilte, 
auäsäiifiit Denkweise der scholastischen ziäiij"'äiä"fieie; einheitliygghe 
Entwigkelung des menschlichen Wesens. Allein bei denwdsaittblivchen 
Resultaten, die er erreichen will, steht er keineswegesmgauz auf dem 
Boden der Alten. Er dringt neben den antiken Tugenden auchauf 
speciüsch christliche, auf Demuth und Liebeswärme. Unter den 
Schriftstellern stehen ihm Cicexromund Augustinus am höchsten; er 
hat also die Antike schon in einerwwöltbiiijgirlichen Form, nach Ab- 
streifung der nationalen Züge, und wiederiiin das Christenthuni noch 
im Zusamnienhange mit dieser späten Antike vor Augen. Er fasst 
beide nicht in ihrem Gegensätze, sondern in ihrer Uebereinstiminung 
1) Voist, 
Wiederbelebung des klassischen Alterthums, 
39 u.
	        
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