Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

Alterthums. 
des 
Wiederbelebung 
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Neben der Sprache machte sich aber auch sofort etwas Tieferes 
geltend: die Denkungsweise. Die Scholastik hatte in Italien bei 
Weitem nicht den Einfiuss gehabt, wie im Norden; erst seit Kurzem 
war sie mehr in Aufnahme gekommen. Auf den Kathedern der 
Fachwissenschaften herrschte sie zwar; Forscher, welche in die Tiefe 
der Dinge dringen wollten, mussten sich auf sie einlassen und konn- 
ten, wie Dante, sich selbst ihre formelle Weise aneignen; in gewissem 
Grade waren alle davon berührt. Aber volksthümlich beliebt war 
sie nie geworden; die Schwerfälligkeit ihrer Schlüsse, die Gewohn- 
heit, sich ausschliesslich traditioneller, auf bestimmte Autoritäten 
beruhender Satze zu bedienen, widerstrebte der Lebegdigkcit und 
dem stärkeren Se_l_bstgefühle der Italiener. Sobald man sich daher 
mehr mit den Aßp beschäftigte, musste man sofort die ganz andere 
Art ihres Vortrages erkennen, den leichten VFluss der Rede, die freie 
Aeusserung des natürlichen Verstandes, die Berufung, auf unmittel- 
bare, gemeinsame Anschauung, auf die Natur der Dinge. Man fand 
bei den Schriftstellern des Alterthums eine Ausdrucksweise, die man 
bis jetzt nur in der Vulgärsprache des Volkes gekannt und geduldet 
hatte. Da man schon gewohnt war, die Alten als die "Unsern", als 
Italiener, zu betrachten, erschien die scholastische Weise im Lichte 
eines fremdlandischen Joches, das man abschütteln müsse, um sich 
die" Denk- und Redeweise jener grossen Vorfahren anzueignen. 
Dies führte dann aber noch einen Schritt weiter. Denken und 
Reden war denn doch nicht das letzte Ziel des Lebens, es galt, zu 
handeln. Gerade der frühzeitige Individualismus der Italiener hatte 
das Bedürfniss nach einer sittlichen-Regel, welche einen Halt ge- 
währe, geschärft. Jenes halbschglastische System der Ausbildung der 
edlen Seele durch Diebe, das beidDantes Vorgängern herrschte und 
seinem grossen Gedichte zum Grunde liegt, war daraus hervor- 
gegangen, aber das war denn doch nur ein Gedanke höher streben- 
der Geister, ohne dauernde praktische Folgen. Aber dennoch konnte 
bei dem Aufgeben der scholastischen Wissenschaft auch die schola- 
stische Moral nicht mehr bestehen; man musste daher von jener an- 
tiken, naturgemassen Denkweise eine neue moralische Lehre erwarten, 
welche eine Wiederbelebung _de,s Alterthums, seinem Sinne und 
Geiste nach, herbeiführen würde. 
Alle diese Gedanken, die sich im Laufe der Zeit mehr und mehr 
entwickelten, finden sich schon bei Petrarca vor, den man in jeder 
Beziehung als den Anfänger und als den Repräsentanten dieser neuen 
Bewegung betrachten darf. Er ist keineswegs eine grossartige, con- 
sequente Natur, er ist weder tiefjblickender Philosoph, noch sittlicher
	        
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