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Historische Einleitung.
Gestalten der Vorzeit so lebendig heraufbeschwor, vereinigt noch
Beides, die Liebe für das Alterthum und die für die idealen Ziele der
mittelalterlicjyeiirisliliciren Welt; diese bildete noch immer den Rahmen
seiner Gesammtanschauung, in welchem die Antike nur neben dem
Alttestanientariächen und Christlichen ihre Stelleiand.
Schon die näclistiieneration stand auf einem andern Stand-
punkte. Die mittelalterlichen Institutionen, für die Dante noch ge-
schwärmt, an deren Vorstellung er seine Lebenskraft gesetzt hatte,
hatten ihre Anziehungskraft verloren, eine andere Anschauung war
an ihre Stelle getreten. Für die Päpste in Avignon, für die macht-
losen, von ihren deutschen Interessen ganz hingenommenen Kaiser,
selbst für das republikanische Städteleben konnte man sicliwnicht
mehr begeistern. Die Republiken waren unter die Botmässigkeit
von Tyragnen gerathen oder dem Spiel der Parteien preisgegeben.
Die Sonderiwnnjaressen traten überall in den Vordergrund. Aber da-
neben bestanden civilisirte Zustände, blühendeStädte, Handelsreich-
thum; das Land fühlte sich freier und selbstständiger, seit es nicht
mehr als Kampfplatz für den grossen europäischen Gegensatz der
Kirche und des Kaiserthums diente. Das Nationalgefühl litt nicht
durch den Verfall der politischen InstitutiodenT es trat vielmehr
kräftiger und reger hervor, als je. Freilich war der Begriff der
Nation schon jetzt mehr im Sinne der natürlichen,geographisch-
historischen Einheit, als im politischen, gefasst, aber diese Einheit,
welche sich durch die Ausbildung einer wohlklingenden Landessprache
und einer edlen Poesie glänzend bewährte, erfüllte das ganze Volk
mit jugendlicher Begeisterung. Es wurde sich seiner vor
anderen Völkern stärker bewusst und liebte, sie sich zu vergegen-
wärtigen. Unter diesen war denn aber der der Abstammung von
jener grossen Vokrzeit des römischen Reiches der bedeutendste; auf
ihn war man daher vorzugsweise angewiesen, ihn geltend und zur
Wahrheit zu machen, jene verlorgngfikgosse womöglich wieder her-
zustellen, war daher die Aufgabe des Patrioten. Wie sehr dies
Gefühl schon im vierzehnten Jahrhundert verbreitet war, zeigt der
Applaus, mit dem die Nation das phantastische Unternehmen des
Cola __Rienzi, trotz seiner kolossalen Verkennung der Verschieden-
heitßvonujietzt und sonst, empfing. Sein schmähliches Ende lehrte
aber doch, dass auf diesem Wege die Vorstellung nicht zu erreichen
sei, dass es dazu einer buessneren Kenntniss, einer gründlicheren An-
eignung der antiken Bildung bedürfe. Das Mittel dazu gewährte
nur die antike Ljjgiratal; sie und also zunächst ihre Sprache zu
studiren, war daher die erste Aufgabe.