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Die
der
Schulen
Grenzlande.
östlichen und nördlichen
grössten Freiheit und Sicherheit ausgeführt. Die Frauen sind zum
Theil von grosser Schönheit und durchweg mild und anmuthig, die
Männer individuell, alle Gestalten sehr sprechend und ausdrucksvoll,
auch die Details, z. B. die Schädel und Todtengebeine am Fusse
des Kreuzes, genau und mit voller Naturwahrheit ausgeführt. Den-
noch ist weder Roger selbst, noch überhaupt ein tlandrischer Meister
der Urheber dieses Bildes. Schon die Farbe ist dunkler gehalten,
als bei ihm, und der Typus der Frauen erinnert an schwäbische
Bilder. Johannes der Evangelist hat den Lockenkopf, mit dem man
ihn in Deutschland um diese Zeit darstellte, während er auf den
ilandrischen Bildern etwas alter und mit schlichtem Haare erscheint,
und die heftige Bewegung, mit der er sich auf die Leiter schwingt,
um die Füsse des Leichnams zu fassen, entfernt sich sehr weit von
der ruhigen Haltung, die Roger auch bei solchen Gegenständen be-
obachtet. Auch andere Züge, namentlich die Gewandbehandlung,
lassen nicht zweifeln, dass wir es hier mit einem Deutschen zu thun
haben, der aber in Flandern selbst gearbeitet und von Roger mittel-
bar oder unmittelbar gelernt hat. Da wir denselben Meister an
keinem andern Orte wiederfinden", dürfen wir annehmen, dass er
(wenn er auch, wie man vermuthen könnte, ein Oberdeutscher, aus
Schwaben oder dem Elsass war) doch diese Bilder in Breslau ge-
malt hat; ob er aber mit dem Meister jener Votivtafel von 1468
identisch ist, muss dahingestellt bleiben, da die Aehnlichkeit beider
Werke nicht schlagend, andrerseits aber auch die Anwesenheit zweier
in Flandern gebildeter Künstler nicht wahrscheinlich ist 1).
Andere Werke, welche eine so unmittelbare Beziehung zu jener
epochemachenden Schule haben, weiss ich nicht nachzuweisen; viel-
mehr machen sich nun auch andere deutsche Schulen, theils böh-
mische, theils fränkische, vielleicht auch die in Krakau durch Veit
Stoss gestiftete Schulef), neben einander, oder in einer bei wandernden
Künstlern leicht erklärbaren Stylmischung geltend. Zu den bessern
Werken dieser Art gehört der vom Jahre 1476 datirtc Altar der
Goldschläger-Innung in St. Maria Magdalenaii), an welchem besonders
die Gestalten der Flügelhilder, Maria und Laurentius, Johannes der
1) Herr Ranke schliesst die Identität beider Meister aus der grosseu Ueber-
einstimmung der einen, die griechische Inschrift auf der Tafel am Kreuze P6-
präsentirenden Zeile auf beiden Bildern, was näherer Prüfung unterliegt.
2) Wie dies Alwin Schultz in den Mitth. VII, 292 annimmt, WäS indessen
noch näherer Untersuchung bedarf.
3) Luchs, Breslau, S. 25, und Alwin Schultz a. a. O.