LII
Biographie.
Schnaasefs
Carl
von der Beobachtung des Einzelnen aus, und er war dafür mit einem
eben so feinen Sinn, wie scharfen Blick ausgestattet, der in der Folge
durch Uebung immer mehr sich vervollkommnen sollte. Aber er
bleibt dabei nicht, wie die meisten Reisenden, stehen; er sucht zum
geschichtlichen Zusammenhange, zu einer tieferen knnstphilosophischen
Betrachtung durchzudringen. Einerseits erörtert er als ein Mann,
der nicht vergebens die Philosophenschulen seiner Zeit durchgemacht
hat, in speculativer Untersuchung das innere Wesen der Künste;
andererseits versenkt er sich in die geschichtlichen Grundbedingungen
des künstlerischen Schaffens, erforscht den Geist der Zeiten, betrachtet
den Charakter des Landes, das Wesen des Volkes und zeigt uns,
wie die Kunst als feinste Blüthe dieser Verhältnisse sich langsam und
stetig entwickelt. So verbinden sich in seinem ordnenden Geiste
die einzelnen Anschauungen einer Reise zu bedeutsamen Capiteln
einer Aesthetik der bildenden Künste, und die Kunstgeschichte selbst
wird unter seinen Händen zu einem der wichtigsten Zweige der
Culturgeschichte. Man muss lesen, wie er die Landschaftsmalerei,
wie er das holländische Sittenbild aus der Art des Landes und des
Volkes, aus seinen Lebensgewohnheiten, Ueberlieferungen, seiner Ge-
schichte, seiner politischen und religiösen Anschauung erklärt, und
man wird gestehen müssen, dass Feineres, Tiefsinnigeres bis auf den
heutigen Tag nicht darüber geschrieben wurde. Und hier tritt denn
auch der hohe universelle Standpunkt seiner Art die Kunstgeschichte
aufzufassen, gegenüber der heut zu Tage immer mehr zur Herrschaft
gelangenden, welche vorzugsweise auf Detailuntersuchungen der Technik
hinausläuft, in helles Licht. Die Nothwendigkeit solcher hlikroskopie
soll nicht geleugnet werden; aber wer mit solcher blossen Handlanger-
arbeit die Aufgabe des Kunsthistorikers für erschöpft ansieht, der
ist im günstigsten Fall dem einzelnen Steinhauer zu vergleichen, der
sich für den leitenden Baumeister hält.
„Den eigentlichen Zweck des Buches," schreibt er bald nach
dessen Erscheinen an Roestell, „wollen wir besprechen, wenn Du das-
selbe gelesen. Ich erwarte, dass unsere Ansichten sich begegnen
werden. Ich glaube, dass die Wissenschaft besonders es ist, welche
in unseren Tagen den religiösen Zwiespalt nährt und welche ihn auch