I-Ianä Holbein d.
445
tation und Uebertreibung streift. Die Gewandung ist sehr gut, mit
leichten, naturgemässen Falten und in edeln Linien, im Uebrigen
aberTier"Schönheitssinn weniger vorherrschend als die Charakteristik,
Alle Köpfe sind sprechend und dem Moment angemessen, mehr oder
wenigerfindividuell, selbst in der Farbe mannigfaltig. Ueber den
frühern Stanqdpimkt, der nur Gut und söä"e"iaäünte und dieses steigerte,
um jenes zu heben, ist er weit hinaus; er begreift die unendliche
Abstufung dieserGegensatze und versucht sich daran, wenn auch
nicht mitwgedreifter Erfahrung, so doch mit dichteijischer Phantasie.
Den hohen Liebreiz und strengen Ernst des idealen Styls erreicht er
wohl nicht, doch ist sein Christus edel und würdig und St. Paul
macht den Eindruck eines klugen und treiflichen Mannes; bei den
"Christen, welche von der Leiche des geliebten Lehrers in die Ge-
fangenschaft geführt werden, ist der SCMITUQTZ mit
keit ausgesprochen, bei den Peinigern erlaubt er sich wohl noch
eine Uebertreibung, und bei den Zuschauern und ruhigern Theil-
nelnnern der Hergänge reichen Portraitlrtlpfe aus. Eigenthümlich sind
ihm aber gewisse unheimliche oder zweideutige(lestalten, bei denen
das Böse mit Gewandtheit und gleissnerischem Scheine auftritt. Schon
unter den Kriegsknechten bei der Verspottung ist ein solcher Me-
phisto, und noch feiner ist der elegante schwarz gekleidete Ritter
charakterisirt, der den Heiligen ins Gefängniss führt. Es liegt in
der Auffassung unsres Meisters ein novellistisches, romantisches Ele-
ment; er versagt sich daher nichtdggern ein pikantes Motiv und zeigt
uns den Heiligen, der von der Mauer zu Damascus herabgelassen
wird, im Korbe schwebend wie der Zauberer Virgil im Volksbuche
gräEII-iminter der Scene, wo die Kirche schon seine Reliquieirver-
ehrtfvveil auf den andern Tafeln kein Raum dafür gewesen war.
Dieser romantischen Poesie entspricht die rliessende, leiclltemgeich-
nung, entspricht aber auch besonders die meisteirliughemlgehandlung
der fßie, die bei grosser Tiefe und Sättigung der einzelnen Farben-
töne in Gewändern, Landschzrtuudnd" Luft doch zugleich überall auf's
Innigste VGTSClÄLIJQlÄGU und von vollendeter weicher Harmonie ist.
Auf dem Rahmen befand sich die Inschrift: Praesens opus complevit
Johannes Holbain Civis Augustanus; eine Jahreszahl ist zwar nicht
angegeben, da aber das nach den Notizen von derselben Veronica
Welser gleichzeitig bei Hans Burgkmaii" bestellte Bild die von 1504
trägt, darf man nicht zweifeln, dass auch dieses um dieselbe Zeit,
entstanden ist.
Demnächst arbeitete er wenigstens zwei Jahre lang für die Do-
minikaner in Frankfurt a. M, und zwar au Ort und Stelle, indem