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Schulen.
oberdeutschen
Die
zogener Linien gibt, besonders in Verbindung mit dein milden Farben-
ton doch einen Eindruck, welcher an die ideale Schule der vorigen
Epoche erinnert, der aber auch wiederriniti der Gemüthlichkeit und
Weichheit des alemannischen Stammes zusammenhängt und uns ebenso
auch an das langsame Tempo und die seelenvollen Töne des schwäbischen
Volksliedes erinnert.
Man hat die Einführung der flandrischen Kunst auch hier dem
Friedrich Herlen zuschreiben wollen, allein dies gründete sich theils
darauf, dass man das Votivbild des Hans Genger in Nördlingen, wie
schon oben angezeigt mit Unrecht, für eine Arbeit des Zeitblom hielt
und daraus schloss, dass er in Herlen's Schule gewesen sei, theils
auf der in der Kunstgeschichte sehr stark herrschenden Neigung, die
Hergänge an bereits bekannte Namen zuknüpfen. Selbst die oft
wiederholte Angabe, dass das jetzt völlig verlöschte grosse jüngste
Gericht über dem Triumphbogen im Ulmer Münster, dessen Jahres-
zahl 1470 noch lesbar ist, von Jesse Herlen, dem Sohne Friedrichs,
gemalt sei, hat nur in dieser Neigung und in einer Verwechselung
mit der Darstellung desselben Gegenstandes von seiner Hand in
Nördlingen ihren Grund. Der ilandrische Einfluss kam gewiss nicht
bloss auf einem Wege und durch 87312311 "Meister in diese Gegend;
die ganze Kunstwelt war davon erfüllt. Wenn es wahr ist, wie man
versichert, dass der Rath von Nördlingen den Beschluss über die
Berufung Herlen's darauf gründete, dass dieser „mit niederländischer
Arbeit umzugehen wisse" 1), so beweist schon dies, dass "diese Arbeit
hier nicht unbeläaiiiitwwar, und lässt darauf schliessen, dass sie schon
vor jenem von anderen Meistern geübt und dass das Begehren da-
nach in den grösseren Städten nicht geringer war wie in Nördlingen.
Auch besitzen wir mehrere schwäbische Bilder, welche, wenn auch
nicht früher als Herlen so doch gleichzeitig mit ihm, einen entschie-
denen aber anders aufgefassten flandrischen Einfluss zeigen. S0 die
Grablegung und der Zug der drei Könige im Museum zu Stuttgart
(Nr. 428 und 441), so ferner die zwei Tafeln mit der Geschichte des
heiligen Ulrich in St. Ulrich und Afra zu Augsburg und endlich in
1) Die Thatsache wird von allen Kunsthistorikern wiederholt, scheint aber
(obgleich Waagen a. a. O. S. 325 Beyschlagüs Buch dafür citirt) nur auf der Autorität
des wenig zuverlässigen Weyermann a. a. O. S. 172 zu ruhen. Da dieser indessen
ausdrücklich das "Bürgerbnch" citirt, wird man annehmen dürfen, dass er darüber
bestimmte Nachricht gehabt. Die von mir in Mülleüs Papieren gefundene Abschrift
der protokollarischen Notiz über Herlen's Bürgereid (s. o. S. 408) enthält diese
Clausel zwar nicht, steht dem aber nicht entgegen, da der Vereidigung ein Be-
schluss vorhergegangen sein kann und wird.