412
Die
oberdeutschen Schulen.
der hier eintretenden grösseren Höhe des Schreins) die eigentliche
Handlung des Gerichts, nämlich ganz oben Christus als Weltrichter,
darunE-irmfürbittend Maria und Johannes, endlich ganz unten kleiner
die Auferstehungderfodten 1). Die lebensgrossen Statuen des Schreins
und die der heil. Magdalena und des heil. Georg, welche jetzt neben
den korinthischen Säulen der neuen Decoration angebracht sind und
wahrscheinlich früher eine ähnliche Stellung hatten, so dass man sie
zugleich mit den Bildern aus ihrer Legende sah, sind in einem ganz
anderen Styleß) als die Schnitzbilder bei anderen Altären Herleifs
und als seine Gemälde. In diesen zeigt er sich unverkennbar als
treuen Schüler eines tiandrischen Meisters, wir können geradezu sagen
Rogers, denn bei der Verkündigung und Darbringung im Tempel
wiederholt er fast die Compositionen dieses Meisters auf seinem Bilde
in der Münchener Pinakothek. Aber auch bei den anderen erkennen
wir Handrische Reminiscenzen. Die Farbenwahl, die bequeme räum-
liche Anordnung, die ausgeführten landschaftlichen Hintergründe mit
der ääifwatten "Andeutung der Luftperspective [indess meist bläulich
abgetönt], diearchitektönischeu Perspectiven zum Theil mit Formen,
die er in Deutschland nicht, wohl aber in Belgien gesehen haben
konnteä), endlich die völlige Verzichtleistung auf Anwendung des Gol-
d,es weisen durchweg auf iiantlristtz-li! Vorbilder hin. Allerdings er-
reicht er diese nicht in der Harmonie, Feinheit und Kraft der Farbe,
aber er hat sich doch ihre Milde, Anmuth und Weichheit angeeignet,
vermeidet die Uebertreibtingen der Oberdeutschen und zeigt sich über-
haupt als einen tüchtigen und begabten Meister von feinem Gefühl,
1) Bei meinem ersten Besuche in Nördlingen (1836), sowie bei den von Schorn
(Kunstblatt 1836 Seite 7) und von Waagen (K. W. u. K. I. 347) waren die Flügel
noch ungetrennt und auf der Rückwand des Altarschreines befestigt, so dass man
nur die acht Bilder aus der Jugendgeschichte Christi sah und von der Existenz
der dahinter befindlichen acht Bilder, sowie von den Gemälden der Rückseite nichts
erfuhr. Dass die Anordnung die von mir angegebene war, ergibt sich aus der im
Texte erwähnten grösseren Höhe der den überragenden Theil des Kreuzes decken-
den Tafeln und aus der noch jetzt erhaltenen Rückwand, die bei der Renovation
im Jahre 1683, wo man, um antikes Gebälk anzubringen, eine ungebrochene Linie
brauchte, nur oben in den Winkeln ausgefüllt, übrigens aber unverletzt ist.
2) Die Gewänder der beiden weiblichen Gestalten sind überladen, aber die
Köpfe, besonders der des Christus, von ausserordentlicher Schönheit und von einer
naturalistischen Durchbildung, die in so früher Zeit (1462) überrascht. Dass sie
indessen aus der Zeit der Renovation des Altars, von 1683, stammen, ist nicht
denkbar, und eine Erneuerung der Statuen im Anfange des XVI. Jahrhunderts,
der man diese Formen und selbst die Plattenrüstung des heil. Georg zuschreiben
müsste, aus anderen Gründen unwahrscheinlich.
3) Bei der Präsentation im Tempel hat die Kirche ein Triforium mit geradem
Gebälke, wie es in Belgien mehrmals vorkommt.