Martin Schongauer.
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giltigkeit ausgesetzt aber vor dem Anstössigen gesichert sind, geräth
er wohl in iibertriebenQNBGWCE-Zllllgen und unschöne Formen, aber er
ist immer neu, immer lebensvoll. Er kann von vollendeter milder
Schönheiti sein, aber er opfert sie, wenn die Bedeutung des Gegen-
standes es zu erfordern scheint. Man kann behaupten, dass Keiner
so wie er das Auge für das Leben geöffnet habe; seine heiligen Ge-
stalten sind idealer Tendenz, aber doch mit neuen, aus der Natur
genommenen Ziigen, seine Uebertreibungen sind hässlich, aber sie
fussen auf Wahrheit, die wenigen Genrebilder, die er gegeben hat, die
beiden" Tischlerjungen, die sich am Leimtopf schlagen, der Esel-
treiber u. s. f. scheinen geradezu Naturstudien zu sein, die er in sein
Skizzenbuch aufnahm. Endlich ist auch seines technischen Verdienstes
als Kupferstechei- zu erwähnen; er war zwar nicht, wie Manche glaubten,
der Erfinder dieses Kunstzweiges, aber er förderte ihn bedeutend, zeich-
nete mit feineren Umrissen, lehrte eine weichere Schattirung und wusste
dadurch seine Gestalten abzurunden und seine Compositionen zu-
sammenzuhalten. Bemerkenswerth ist aber, dass man auch in dieser
Beziehung kaum ein Fortschreiten in seinen Blättern nachweisen kann;
dieselben Vorzüge sind ihnen allen mehr oder weniger gemein, und
man wird annehmen müssen, dass er, ehe er mit ihnen an die Oeffent-
lichkeit trat, sich an Goldschmiedearbeiten mit dem Gebrauche des
Grabstichels im höchsten Grade vertraut gemacht hatte.
Von seinen Gemälden sind leider äusserst wenige erhalten und
darunter nur ein einziges, das man für beglaubigt ansehen kann,
weil es noch an seiner ursprünglichen Stelle steht und die Tradition,
welche es ihm beilegt, durch eine Erwähnung seines Zeitgenossen
Wimpheling unterstützt wird. Es ist dies die berühmte Maria im
Rosenhag in der Stiftskirche St. Martin zu Colmar 1). DiTahCöiiipoß"
sition ist höchst einfach, die Jungfrau in etwas mehr als lebensgrosser
Gestalt mit dem Christkind, das seinen Arm um ihren Hals schlingt, auf
dem Schoosse ganz in Roth gekleidet auf einer Gartenbank, bunte
Vögelein singen im Gesträuche, blaugekleidete Engel halten schwebend
1) Ueber Martin Schongauefs Gemälde, vgl. v. Quandt im Kunstbl. 1840, S. 317 ff;
Waagen, K. W. und K. in Deutschland II. 308 E; Passavant im Kunstbl. 1843,
S. 254 und ausführlicher 1846, S. 170 E; Hotho, Geschichte der deutschen und
niederländischen Malerei (1843) II. 214; E. Förster, Kunstgeschichte II. 194 (1853)
und Denkmäler der Baukunst etc. Band II. mit einer Abbildung der Madonna im
Rosenhag. Die Jahreszahl 1473 ist erst neuerlich und zwar auf der Rückseite
entdeckt. Das Gemälde, früher an dunkler Stelle in der Kirche, ist jetzt in der
Sakristei aufgehängt und dadurch zugänglicher geworden. Ein (freilich unvoll-
ständiges) Verzeichniss sämmtlicher dem Martin Schongauer mit Recht oder Unrecht
Zugeschriebener Gemälde ist im Kunstblatt 1841 Nr. 7 ff. gegeben.