Martin Schongauer.
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studirt und sich bald mit voller, unbedingter Hingebung, bald mit
Unterscheidung und freier Benutzung angeeignet haben und so mittel-
bar, durch Hervorrufung einer energischen Reaktion des einheimischen
Gefühls oder unmittelbar durch ihr eigenes Eingehen auf dasselbe
und ihr Vorbild auf Begründung neuer Schulen hinwirken.
Eine solche neutrale Gegend war das obere Rheinthal und nament-
lich das Elsass. Die französische Revolution hat zwar hier mit
gründlicher Z erstörungslust unter den alten Kirchenbildern aufgeräumt 1),
aber die wenigen Ueberreste zeigen doch, dass sich hier eine eigen-
thümliche Schule nicht gebildet hatte. Das Bedeutendste unter den-
selben sind die im Jahre 1824 aufgedeckten Wandgemälde eines
Todtentanzes auf dem ehemaligen Kirchhofe der Dominikaner zu"
Strasüiiirgffünf Gruppen und zwar nicht wie gewöhnlich immer nur
aus zwei, sondern aus zahlreichen Figuren bestehend. Der Predigt
des Dominikaners hören Leute aller Stände zu, und die Angriffe des
Todes sinldmallgemeiner geschildert, indem er den Papst, Kaiser und
Kaiserin, König und Königin und endlich den Bischof (denn nur bis
zu diesem sind die Gemälde erhalten), alle unter ihrem Gefolge auf-
suchtß). Die Haltung der Figuren ist gemässigt, die Falten fallen
schlicht und gerade, und Damen und Jünglinge haben noch die feine
schlankeTaille; neben diesen Anklängen des ldealstyles deutet aber
die lebendige dramatische Bewegung mancher Gestalten und die stets
wechselnde Gruppirung schon auf die zweite Hälfte des Jahrhunderts
und die besseren der Bilder, denn sie scheinen von mehreren Händen,
zeigen einen nicht uugeschickten Meister, aber keineswegs eine origi-
nelle Richtung.
Vielleicht schon um dieselbe Zeit lebte ganz in der Nähe, in
Colnätr, ein Meister, der alle seine deutschen Zeitgenossen übertraf
und dessen Ruf und Wirksamkeit sich über ganz Deutschland und
selbst über seine Grenzen weit hinaus erstreckten, Martin [Schon-
gauer. Wimpheling, ein angesehener deutscher Schriftsteller, ver-
sichert wenige Jahre nach seinem Tode, dass seine Gemälde in alle
Länder ausgeführt würden und die in Deutschland zurückgebliebenen
der Gegenstand der Bewunderung und des Studiums der Künstler
seieng); andere gleichzeitige oder nahestehende Zeugen bestätigen,
1) In Colmar wurden sie im Jahre 1796, wie ein alter Bürger noch an v. Qua-ndt
erzählte, auf den Markt geschleppt und verbrannt. Kunstbl. 1840, S. 325.
2) Edel, die neue" Kirche zu Strassburg, 1825, giebt Nachricht über die Ent-
deckung und Abbildungen.
a) Wimpheling in seinem 1505 zuerst gedruckten Epitome rerum Germani-
carum, Cap. 68: "Quid de Martina Schon, Columbariensi dicam, qui in hac arte