Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

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Französische Malerei des 
Jahrhunderts. 
jugendlicher Fülle. Die darauffolgenden Blätter enthalten die evan- 
gelische Geschichte nebst andern in den Gebetbüchern dieser Zeit 
hergebrachten Darstellungen, aber alle in höchst lebendigen und aus- 
drucksvollen Compositionen. Einige Male sind die Hergange in tiefe, 
auf ihrer Längenachse perspectivisch gezeichnete Raume verlegt; so 
die Verkündigung in eine ...schitfige gothische Kirche, die Aus- 
giessung des h. Geistes in einem länglichen Saal. Meistens aber ist 
die Anordnung freier und nach einer poetischen Intention gewählt. 
Sehr bemerkenswerth sind in dieser Beziehung die beiden Mahlzeiten 
des Herrn mit den Jüngern, die im Hause Simon's von Bcthanien 
(lilatth. 26, 6 u. Joh. 12, 3) und dann das letzte Abendmahl. Bei 
jenem sitzen sie in einem länglichen, reich verzierten Saale, den wir 
in diagonaler Perspective übersehen und zwar so, dass Christus den 
mittleren Platz an der Wand einnimmt, die ihm gegenüberliegenden 
Plätze aber unbesetzt sind, so (lass Maria ungehindert vor ihm knieend 
seine Füsse salben kann. Ueber der Tafel sehen wir dann nur den 
Hausherrn und seine Frau, beide im phantastischen Cost-üm, das den 
Reichthum andeutet. Dieses, das heilige Abendmahl aber geht in der 
schmucklosen Halle einer gemeinen Herberge vor sich und zwar nicht, 
wie gewöhnlich an einem viereckigen, die Mitte des Bildes einnehmenden, 
sondern an einem runden, in die Ecke der Halle geschobenen Tische, 
während durch die nach der Strasse geöffnete Thüre der Halle zahl- 
reiche Neugierige oder gleichgültige Personen hineingetreten sind. 
Beide Bilder versinnlichen also in sehr lebendiger, dramatischerWeise 
die Veränderung der Situation; dort sehen wir den Herrn geehrt, im 
reichen Hause gefeiert, mit kostbarenSalben bedient, hier unter der 
ungünstigen oder stumpfen Menge. Die Zeichnung der Figuren ist. 
sehr correct, selbst bei schwierigen Stellungen, die Gewiandbehanrllung 
meistens vortrefflich. Manche Züge verrathen, dass der Meister Italien 
kannte; in der Landschaft kommen wiederholt Cypressen vor und 
die mit Vorliebe ausgeführten architektonischen Details zeigen eine 
Kenntniss der italienischen Renaissance und zwar in der Form, wie 
sie sich um die Mitte des Jahrhunderts etwa unter dem Einflüsse 
jdes Leon Battista Alberti gestaltete. Wiederholt kommen mit Marmor 
bekleidete Wände vor, an denen cannelirte korinthische Pilaster das 
dreitheilige Gebälk tragen und zuweilen scheint die ganze Localität, 
z. B. der Hofraum, in welchem Maria und Elisabeth sich begegnen, 
aus Italien entlehntl). Auch die nackten Kindergenien, welche als 
1) [Der Charakter dieser Architektur, sowie der Ausdruck und die Gewandung 
der Gestalten, endlich das ganze in lichten Tönen durchgeführte Colorit scheint 
mir vorzugsweise dem B'ra Angelico verwandt. W. L.]
	        
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