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Französische Malerei
des
Jahrhunderts.
ergreifende, nachhaltige Wirkung, wie selbstständige grössere Gemälde,
können und sollen diese kleinen Bilder nicht hervorrufen. Dies wäre
ihrem Zwecke entgegen; sie sollten den Leser nicht von dem Buche
ableiten, sondern ihm behüliiich sein, sich in dasselbe zu vertiefen;
aber sie sollen doch ihn weiter in die geschilderten Hergänge ein-
führen, als es seine eigene Phantasie vermochte. Und das geschieht
denn auch oft mit grossem Erfolge, während allerdings bei gewöhn-
lichem fabrikmässigen Betriebe die Bilder monoton und geistlos" werden
und der Werth solcher hianilscripte mehr in äusserlicher Eleganz als
in einer wirklich künstlerischen Bedeutung liegt.
Zum Glücke befinden sich unter der Zahl der erhaltenen Minia-
turen auch einige von der Hand des bedeutendsten Meisters dieser
Schule, des Jean Foucquet von 'l'ours1).
Von den drei Miniaturwerken, die wir ihm mit Sicherheit zu-
schreiben dürfen, will ich zuerst die französische Uebersetzung der
jüdischen Alterthüiner des J osephns in der grossen Bibliothek zu
Paris (Nr. 247 fr. früher Nr. 6891) nennen, weil sie eine authentische
Beglaubigung enthält und so die Aufmerksamkeit auf diesen Meister
gelenkt und ein Erkennen seiner andern Werke ermöglicht hat. Die
Entstehung der Handschrift selbst fällt vor Foucqnefs Zeit. Johann,
Herzog von Berry, Bruder KarFs V., den wir schon früher als eifrigen
Bücherfreund kennen gelernt haben, liess die Abschrift anfertigen
und übergab sie demnächst seinen Miniaturmalern zur Ausschmückung.
Sein Tod (1416) unterbrach die Arbeit, nachdem nur die Randver-
zierungen und die drei ersten Historien vollendet waren, und das
Buch ging so in die Hände anderer Besitzer über, von denen einer,
wahrscheinlich der Herzog von Nemonrs, etwa um 1465 Foncquet den
Auftrag gab, die noch fehlenden Historien, für welche, wie gewöhnlich,
der Schreiber Baum gelassen hatte, auszuführenil. Durch die Tochter
und Erbin des Herzogs von Nemours kam demnächst das Buch an
die Herzöge von Bourbon, und hier war es, wo um 1488 der Secretäir
1) Vgl. über ihn Waagen, u. K. III. 371 ff. L. de Laborde, La re-
naissance des arts ä. 1a cour de Frnnce. Vol. I. p. 155 ff. Passavant in Nanmanxils
Archiv für die zeichnenden Künste, Band VI. (1860) S. 168 H. Labarte, Hist. des
arts industriels (1865) III. S. 274 ff. P. Viollet in der Gazette des beaux arts,
V01. XXIII (1867) S. 97 H. Grandmaison, Notes et documents sur les peintres
de Pecole de Tours, 1868. Michiels, a. a. O. 2. Aufi. III. p- 165-
2) Dass "der Herzog von Nemours Eigenthümer des Buches gewesen, ist durch
eine darin beiindliche Inschrift erwiesen. Dass er die Bestellung bei Foucquet
und zwar um 1465 gemacht, ist nur eine, aber allerdings wahrscheinliche Ver-
muthuxig, da der Herzog, welchen Ludwig XI. im Jahre 1477 wegen Hochverraths
hinrichten liess, um diese Zeit mächtig und reich war.