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Frar
xzösische
des
Malerei
Jahrhunderts
Hingabe an Natur und Wahrheit, die jetzt in der flandrischen Kunst
herrschte, konnten und wollten die französischen Maler sich nicht
entschliessen. Sie konnten es nicht, weil ihnen das mystisch-religiöse
Gefühl für die Natur, weil ihnen der ausgebildete Farbensinn fehlte,
der in der Harmonie des Ganzen, in der Musik der Farbe Entschä-
digung für die Mängel der Form findet. Es widerstrebte ihnen aber
auch, die menschliche Gestalt und die Hergänge in ihrer alltäglichen
Erscheinung darzustellen. Sie machten ideale Ansprüche, Welchen die
niederländische Kunst nicht entsprach. Auch in Frankreich liebte
man den Naturalismus, aber nur als anmuthige oder neckische Naivetäit,
als leichte Erinnerung an den sinnlichen Reiz der Dinge, als Porträt-
ähnlichkeit, mit einem Worte, so lange er dem Selbstgefühle schmeichelte,
aber man begnügte sich nicht mit der Natur, glaubte nicht in ihr
Alles zu besitzen, fand es anstössig, auch ihre Zufälligkeiten und
Schwächen wiederzugeben und verlangte von der Kunst eine auser-
wahlte, höhere, vornehme Natur, die Beobachtung der gesellschaftlich
anerkannten Schönheits- und Anstandsregeln. Schon am Ende des
dreizehnten Jahrhunderts hatten wir Spuren dieser Richtung bemerkt
(Band V S. 648); seitdem war sie durch die weitere Ausbildung der
monarchischen Tendenz und der höfischen Sitte vollkommen befestigt.
Daher zeigen denn die französischenMiniaturen aus der zweiten Hälfte
des Jahrhunderts neben den Einwirkungen der Eycläschen Schule sehr
bestimmte wiederkehrende Verschiedenheiten. Ihr Naturalismus ist
befangener, die Neigung, graziöse Gestalten zu geben, lässt ihm nicht
volle Freiheit. Die Gesichtszüge haben nicht die (volle) Mannigfaltig-
keit der Natur, gewisse Typen wiederholen sich bis zur Einförinigkeit.
Die Zierlichkeit der Bewegung steigert sich zuweilen bis zum" Pre-
tiösen und Verschrobenen, der Ausdruck des Leidenschaftlichen ist
zwar klar und bestimmt, aber weil er maassvoll sein soll, zuweilen
matt. Die Zeichnung ist von höchster Sauberkeit und Präcision, auch
an den menschlichen Gestalten im Ganzen richtig, aber die Verhält-
nisse sind leicht zu schlank. Die Compositionen sind oft sehr figuren-
reich und meistens wohlgeordnet; die Kunst, Gruppen zu bilden und
zu sondern, das Gleichgewicht in der Anordnung zu bewahren, ist
den Malern dieser Schule sehr geläufig, macht aber nicht selten den
Eindruck des Steifen, Feierlichen, Ofiiciellen. 'l'racht und Sitten sind,
in welcher Zeit auch die Darstellung spielen möge, durchweg die da-
mals üblichen, wie bei den Niederländern. Die göttlichen und heiligen
Gestalten werden, wie dort, durch Kleidung und Umgebungen, wie
sie der Luxus der Vornehmen liebte, geehrt. Aber an die Stelle der
Naivetat, in welcher dies dort erscheint, ist hier eine gewisse pedan-