Grimani.
Breviarum
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Landschaft sitzend, das mit blossem Hemdchen bekleidete, auf ihrem
Schoosse stehende Christkind, im Begriffe sie zu küssen. Ihre
Züge sind überaus edel und das Ganze von höchster Schönheit. Das
Zweite Bild enthält die bekannten Symbole der unbefleckten Ein-
Pfängniss.
Es versteht sich von selbst, dass diese umfangreichen Malereien
nicht von ein und derselben Hand herrühren. Wir erkennen Ver-
schiedenheiten der Zeicliiiiing sowohl wie der Farbe, neben geringeren,
nur glatt und gefällig behandelten Blättern kommen tiefere, besser
charakterisirte vor. Aber alle gehören doch einer und derselben
Schule an, der des Memling; auch die vorherrschenden Mängel der
Zeichnung, die steife oder unsichere Haltung der Figuren bei hef-
Ügeren Bewegungen, hängen damit zusammen, während ruhigere
SCenen unbedingt gelungen und durch Anmuth und Innigkeit des
Ausdrucks überaus anziehend, in ihrer Art unvergleichlich sind. Die
Architektur ist durchweg spiitgothisch, nur mit schwachen Anklängen
im das Gebälksystem der Renaissance, niemals mit bestimniteren an-
tiken Formen.
Man hat darauf aufmerksam gemacht, dass Manches eine nähere
Beziehung zum Franciscanerorden und zu dem aus diesem Orden
hervorgegangenen Papste Sixtus IV. andeutetl). Die Festtage der
heiligen Franciscaner sind im Kalender wie die höchsten Kirchenfeste
in Roth geschrieben, das Officium des h. Franziscus ist mit ungewöhn-
licher Ausführlichkeit behandelt. Sixtus IV. wird wiederholt im Bre-
Viarium genannt und zwar mit einer auf den lebenden Papst deu-
tenden Phrase (Sanctissimus dominus noster Papa). Es kann daher
sein, dass das Breviarium von ihm bestellt oder doch zur Ueber-
Paschung für ihn bestimmt gewesen. Indessen würde dies wohl nur
Von der Schrift gelten, während die Bilder erst später nach dem Tode
Sixtus IV. (1484) ausgeführt sein können. Gelegentlich findet sich
das Wappen Maximilians, welches er erst nach seiner Erwählung
zum römischen Kaiser (1493) annahni, die Verbindung der burgun-
dischen Lilien mit dem Reichsadler und eine grosse Zahl der Male-
reien weist stilistisch erst auf den Anfang des 16. Jahrhunderts hin.
1m Hause des Cardinals Grimani wurden, wie der Anonymus erzählt,
die Miniaturen als Werke von Hans Memling, Gerhard von Gent und
Livin von Antwerpen bezeichnet. Man nannte sogar die Zahl der
Blätter, welche jedem dieser drei Künstler zuzuschreiben seien. Ohne
Zweifel alles dies nach der Versicherung des Verkäufers, nicht aus
Texte zu dem photographischen Werke S. IV und XXXVII.
19'
Zanotto im