Simon Marmion.
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hleinlings Namen zu benennen und will lieber auch hier die Lücke
unsrer Kenntnisse eingestehen, als uns der Gefahr unsicherer Be-
estimmung aussetzen. Allerdings vermag ich keinen andern Namen
an Memlings Stelle vorzuschlagen, und es kann auffallend scheinen,
dass kein zweites Bild eines so bedeutenden Meisters entdeckt ist.
Allein wenn wir uns der grossen Zahl angesehener Maler erinnern,
von denen wir urkundliche Nachrichten, aber keine bekannten Werke
besitzen, wird dies Erstaunen schwinden. Ich habe schon oben (S. 211 ff.)
einige Zeitgenossen Rogers van der Weyden genannt, welche nach
den urkundlichen Nachrichten sehr bedeutende Maler gewesen zu sein
Scheinen und deren Namen dennoch nicht bis zu Vasari und van
Mander durchgedrungen sind. Auch zu Memlings Zeit finden sich
Sehr auffallende Erscheinungen dieser Art, deren Erwähnung hier
eine Stelle finden mag.
Vor Allem gehört dahin Simon Marmion, der während seines
Lebens und noch etwa hundert Jahre nachher als ein grosser Künstler
gefeiert, dann aber vergessen und erst neuerlich durch archivalische
Studien wieder exitdeckt wurde. Den Ort seiner Geburt kennen wir
nicht, und es kann sein, dass er nicht aus Flandern stammte, sondern
aus der Picardie. Die früheste Nachricht, die wir über ihn haben,
zeigt ihn in Aniiens wohnend, wo er im Jahre 1453 ein Bild für das
Stadthaus lieferte 1); er tritt daher ungefähr gleichzeitig mit Memling
auf. Unmittelbar (larauf sehen wir ihn aber in den Kreis der flandri-
sehen Kunst gezogen, indem er zu den: Meistern gehört, welche zu-
folge der Rechnungen bei den Vorarbeiten für das Fest Philipps
des Guten zu Lille im Jahre 1454 beschäftigt wurden 2). Einige Jahre
darauf verzog er nach Valencihennesg), wo wir ihn 1465 als Haus-
besitzer und bald darauf als Ehemann einer wohlhabenden Frau
iinden. Hier starb er dann im Jahre 1489 und wurde in der Kapelle
1) Vgl. Dusevel, Recherches historiques sur les ouvrages executes dans 1a ville
d'Amiens pondant Ies XIV. XV. et XVI. siecles, Amiens 1858, p. 25.
9) Pinchart, Archives des arts, sciences et lettres, T. II. p. 201-206 und in
den Anmerkungen zu Crowe und Cavalcaselle II. p. CCXXIX. ff. weist dies nach mit
Berichtigung einer irrigen Namensangabe bei de Laborde, Ducs de Bourgogne p. 422,
Nro. 1537.
3) Nach Michiels III. 379 (der die äussere Geschichte Simon's nach zum Theil
mir unzugänglichen Quellen sehr ausführlich erzählt) soll er nicht nur schon 1458
als dort wohnender Meister aufgeführt, sondern auch dort geboren sein. YVie es
scheint, wird dies aber nur daraus geschlossen, dass ein ihm gehöriges Grundstück
als sein "Erbe" (heritage) benannt wird, ein Ausdruck, der nach damaligem (und
in vielen Gegenden noch heute erhaltenem) Sprachgebrauche jeden Immobilienbesitz,
den erkaitften sowohl als den ererbten, bezeichnet. Vgl. auch Pinchart a. a. 0.