Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

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Die niederländische Malerei am Schlusse 
des fünfzehnten 
Jahrhunderts. 
leihen weiss, haben hier die um den Weltrichter versammelten Apostel 
durchweg sehr unbedeutende, fast gemeine Gesichter. Man vergleiche 
nur den edeln, feinen Kopf des Johannes auf dem Altarbilde im 
Hospitale zu Brügge mit dem in dieser Apostelreihe, der in der That 
das Porträt irgend eines in harter Arbeit der Werkstätte heran- 
gewachsenen Bürgers zu sein scheint. Ueberhaupt muss es auffallen, 
dass die hier wie dort vorkommenden Gestalten nicht einmal dieselben 
Motive erkennen lassen. So ausser Johannes besonders Maria. Die 
Engel sind auch auf dem Danziger Bilde sehr schon, doch in ganz 
anderer Weise, und noch grösser ist die Verschiedenheit bei dem 
'Ausdrucke himmlischer Seligkeit in diesem Paradiese von dem bei 
der Vermählung der h. Katharina in Brügge. Allerdings liessen sich 
solche Abweichungen aus der Verschiedenheit der Aufgabe, der mehr 
idealen Tendenz an dem Johannesaltar und der mehr realen des 
jüngsten Gerichts und endlich aus dem verschiedenen Alter des 
Künstlers erklären. Das Danziger Bild war schon 1473, wenigstens 
zehn Jahre vor dem Johannesaltar, vollendet. Allein dann entsteht 
wieder das Bedenken, dass das frühere Bild in vielen Beziehungen 
mehr leistet, als irgend eines der späteren hleinlings. Wyir kennen 
unter diesen keines, das eine solche Mannigfaltigkeit der Charakter- 
köpfe und des Ausdrucks gäbe, wie sie sich hier bei den Verdammten 
findet, keines, das eine solche Sicherheit und Fertigkeit in der Zeich- 
nung des Nackten bewiese. Adam und Eva in der Ambraser Samm- 
lung zu Wien sind zwar sehr gelungen, aber miniaturartig klein, und 
auf dem grossen Lübecker Bilde sind die drei nackten Gestalten 
Christi und der Schacher ziemlich hölzern. Es ist kaum glanblich, 
dass derselbe hfeister, der vor 1473 auf dem Danziger Bilde 50 bis 
60 nackte Figuren so vortrefflich gezeichnet hatte, 1491 bei dem 
Lübecker Bilde sich in dieser Beziehung so schwach fühlte, dass er 
zu den Naturstudien seines längst verstorbenen Meisters Roger seine 
Zuflucht nehmen musste. Talent giebt Neigung; ein Meister, der 1473. 
schon diese damals so seltene Kenntniss und Uebung in der Zeichnung 
nackter Körper hatte, würde sie in der ganzen Reihe späterer-Bilder, 
die wir von Memling kennen, nicht unbenutzt gelassen haben. Zu 
alledem kommt dann noch eine verschiedene Farbenbehandlung. Mem- 
ling liebt durchweg kräftige, einfache Töne, durch die er einen vollen 
Accord hervorzubringen weiss. Das Danziger Bild dagegen ist lichter 
gehalten und zeigt eine Neigung zu gebrochenen Tönen, die namentlich 
in den Gewändern der Apostel sehr auffallend sind und zuweilen in 
lichtes Gelb übergehen.  
Ans allen diesen Gründen wage ich es nicht, unser Bild nach
	        
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