Das Danziger Weltgericht.
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Ueber den Namen des Meisters fehlt jede Nachricht. Der Dan-
ziger Schiffer und seine Rheder fragten nach seinem Namen nicht,
und selbst dem Chronisten war dieser Mangel nicht auffallend. Ueber-
haupt erweckte das Bild erst mit dem erwachenden Interesse für
ältere Kunst und besonders nach seiner Rückkehr von Paris grössere
Theilnahme. Aber die Kenntniss der älteren Kunst war noch zu
gering. Einige schrieben es in Folge einer doppelten Verwechselung
dem Michael Wolgemut zu, von dem es gewaltig weit entfernt ist,
Andere, besser unterrichtet, nannten Johann van Eyck, mit dem es
wenigstens allgemeine Schulverwandtschaft hat. Da bei näherer
Prüfung auch diese Bezeichnung nicht haltbar schien, rieth man mit
unsicherem Herumtasten auf Hugo van der Goes oder gar auf
Albrecht von Ouwater, bis endlich Hotho den Namen Memlings
aussprach und dafür die Zustimmung von Waagen, Passavant und
anderen angesehenen deutschen Kunstforschern erhieltl). Ich kann
diesem Aussprüche nicht unbedingt beipflichten. Eine Verwandtschaft
mit Memling ist allerdings vorhanden; sowohl die Technik, als die
vorherrschende Auffassung und Charakteristik ist ganz ähnlich; das
Verhältniss zur Natur, die Art der Individualisirung, die Vorliebe für
ehrbare, bürgerliche Gesichter, für eine gerade, fast steife Haltung der
Körper ist dieselbe. Zuweilen, namentlich bei jugendlichen Frauen, be-
gegnen wir Zügen, die auch auf Memlings zweifellos ächten Bildern
vorgekommen waren. Aber daneben finden sich wieder wesentliche
Verschiedenheiten sowohl der Gefühlsweise, als der technischen Be-
handlung. Während Memling den männlichen Köpfen reiferen Alters
ungeachtet ihres bürgerlichen Habitus eine gewisse Idealität zu ver-
1) Vgl. die Geschichte jener früheren Benennungen bei Hotho, Gesch. der
deutsch. und niederland. Malerei 1843. II. 129. Abweichende Ansichten über den
Urheber des Bildes haben bisher nur Michiels (Hist. de 1a peinture flamande II.
154 H.) und E. Förster, Denkm. d. Bildnerei und Malerei Band V. S. 33 aus-
gesprochen. Jener erklärt es nebst einer Anzahl andrer, sehr verschiedener Ge-'
miilde für ein Werk aus der gemeinsamen Werkstatt Huberlfs und Johanns van
Eyck. Ich weiss nicht, ob er das Danziger Bild gesehen hat; seine Worte lassen
dies zweifelhaft. Jedenfalls wird er keinen zweiten Kunstfcrscher finden, der bei
einiger Kenntniss dieses Bildes und der Werke der Brüder van Eyck die weite
Kluft verkennt, welche es von den Werken der letzteren scheidet. E. Förster geht
nicht so weit, aber er nimmt an, dass der Meister des Danziger Bildes derselbe
sei, welcher, etwa 20 Jahre früher, das jüngste Gericht zu Beaune geschaffen habe.
Ich kann diese Ansicht in keiner Weise theilen und fürchte, dass die Aehnlichkeit
des Gegenstandes und namentlich der Gruppe des Weltrichters in beiden Bildern
selbst einen so erfahrenen Kunstkenner, wie Förster, getäuscht hat. Die Bemer-
kungen über die geistige und technische Verschiedenheit beider Werke, die im
Texte gemacht werden, mögen als Rechtfertigung meines Widerspruches dienen.
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