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Schlusse des fünfzehnten Jahrhunderts.
Die niederländische Malerei am
durch die l-lammenbeleuchtete Nacht der Hölle geschleudert werden,
sehr viel grösser, als die jener in feierlicher Ruhe Wandelnden, sondern
er hat sich auch bemüht, in ihnen die verschiedenen Grade der Ver-
zweiflung, des Trotzes, des Klagens, die Eigenthümlichkeit der Ge-
schlechter, Lebensalter und Charaktere anschaulich zu machen. Die
Teufel, die meistens bei thierischen Köpfen schlanke menschliche, oft
broncefarb ene Körper mit glänzenden Schlangenschweifen und Schmetter-
lingsflügeln haben, und die Verdammten, Welche händeringend und
weinend, herabstürzend, wieder aufklimmend, sich stemmend, in den
kühnsten und mannigfaltigsten Bewegungen über dem bodenlosen Ab-
grunde schweben, bilden zahlreiche spannende Gruppen, die noch frei
von den burlesken Uebertreibungen der späteren Meister einen ernsten
Eindruck machen, und unter denen einzelne höchst ergreifende Ge-
stalten vorkommen, die sich der Phantasie tief einprägen. Aber die
vielen stürzenden Gestalten, die sich verinöge der hellen Farbe des
Nackten grell von der Dunkelheit abheben und Arme und Beine in
mannigfaltigen, eckigen Wendungen strecken, geben an sich ein un-
ruhiges Bild, dessen wesentlichstes Verdienst darin besteht, der para-
diesischen Ruhe und Würde des andern Flügels.als Folie zu dienen.
Neben diesen Gestalten des Paradieses und der Hölle-sind die
des Weltrichters und der Apostel weniger befriedigend; sie tragen
meist alltägliche, spiessbürgerliche Gesichter und sind im Ausdrucke
linkisch oder matt. Selbst Christus in den typischen Zügen, aber in
ziemlich steifer Haltung, ist nicht bedeutend genug. Man muss dahin-
gestellt sein lassen, ob die Phantasie des Meisters hier nicht weiter
reichte, oder 0b er glaubte, sich hier in den Schranken des Her-
kommens halten zu müssen und seinem Publikum Heiligkeit nur in
der Gestalt bürgerlicher Ehrbarkeit viorstellen zu dürfen. Maria da-
gegen ist eine liebliche, (lemüthige Gestalt, und die Engel sind fast
durchweg von hoher, strenger Schönheit. Hinter dem Haupte Christi
ist Goldgrund, der hier in jeder Beziehung günstig wirkt und in Ver-
bindung mit dem spiegelnden Panzer des Erzengels der Mitte des
Bildes eine leuchtende Kraft giebt, welche dazu dient, die scharfen
Gegensätze der beiden Flügelbilder auszugleichen und zu einem har-
monischen Ganzen zu verbinden, das in der That eine der reichsten
und schönsten Darstellungen des gewaltigen Gegenstandes giebt.
Die Aussenseiten der Flügel zeigen grau in grau die in Nischen
aufgestellten Standbilder der Jungfrau mit dem Kinde und des hl.
Michael, jene etwas steif und trocken, dieser von ritterlicher Haltung
und grosser Schönheit, und darunter die zum Theil übermalten, knieen-
den Gestalten des Stifters und seiner Gemahlin.