Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

Das Danziger Weltgericht. 
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Ausführung zahlreicher, höchst sprechender und ergreifender Gruppen 
benutzt ist. Ungeachtet der Verwandtschaft jener himmlischen Er- 
scheinung, die freilich zum Theil schon im Gegenstande liegt, ist 
hienach das Bild ein ganz anderes, andern Charakters, andrer Poesie. 
Während es dem Meister des Bildes von Beaune darauf ankam, die 
Erscheinung des Weltrichters und seines Gefolges und zwar in mög- 
lichst imponirender Grösse, in symmetrischer Anordnung, gleichsam 
in kirchlich feierlichem Tone vorzutragen, wobei denn Paradies und 
Hölle und die Auferstehungsscene nur angedeutet werden konnten, ist 
hier der grosse Tag des Gerichts, der weite, Himmel und Erde um- 
fassende Hergang, mit seiner erschütternden Gewalt, mit der vollen 
Mannigfaltigkeit seiner Schrecken und Freuden uns nahe gebracht. 
Vor Allem herrlich, die schönste Schöpfung des Meisters, ist das 
Flügelbild zur Rechten des Erlösers. Von frischem Rasengrün, in welchem 
Blumen und Edelsteine leuchten, führen zahlreiche Krystallstufen zu 
der hohen und breiten Himmelspforte, die in weissem Steine und im 
reichsten gothischen Style ausgeführt, mit vielem Bildwerk geschmückt 
und auf Thürmchen und Altanen von singenden und musicirenden 
Chören wunderlieblicher Engel besetzt, den Hintergrund füllt. Am 
Anfange der Treppe empfängt St. Petrus, mit dem grossen Schlüssel 
bewehrt, in ernster Milde die Seligen, welche nackt, wie sie aus dem 
Grabe erstanden, heranschreiten und erst unmittelbar am Thore von 
Engeln mit geistlichen Gewändern bekleidet werden. Mit andächtiger 
Miene, aber in völlig aufrechter Haltung und mit ruhigem Gange, 
augenscheinlich im sicheren Bewusstsein ihrer Seligkeit schreiten die 
Auserwählten dem Thore entgegen. Man hat dieser Darstellung wohl 
den Vorwurf allzugrosser Gleichförmigkeit gemacht, und in der That 
fehlt es an bestimmten dramatischen Scenen, etwa des Wiedererkennens, 
wie sie auf späteren Darstellungen dieses Gegenstandes vorkommen. 
Aber vielleicht gerade dieser Enthaltsamkeit verdankt es der Meister, 
dass das Bild den Eindruck des höchsten Friedens und der unter- 
schiedslosen Seligkeit macht. Auch geben die oft porträtmässigen, 
jedenfalls verschiedene Charaktere und Altersstufen repräsentirenden 
Köpfe und die ziemlich genau und naturalistisch gezeichneten nackten 
Körper eine hinlängliche Mannigfaltigkeit. Freilich aber reicht die'- 
selbe bei Weitem nicht an die des andern Flügels. Es liegt in der 
Natur der Sache, dass die Schilderung der Verdammten und ihrer 
Qualen der erfindenden Phantasie mehr Stoff bietet, als die Ruhe 
des Paradieses, und unser hleistei" hat sich diesen Vortheil nicht ent- 
gehen lassen. Nicht nur ist die Schaar der Ungliicklichen, welche 
von Teufeln zusammengetrieben, dicht an einander gedrängt oder 
Schnaasefs Kunstgesch. VIII. 17
	        
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