Der Altar im Dom zu Lübeck.
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Lichtern in einen nicht erfreulichen kühlröthlichen Ton gerathen.
Diese Fülle von Einzelheiten hat auch wahrscheinlich es veranlasst,
dass die Landschaft hier nicht mehr nach der Sitte der flandrischen
Schule flach, sondern mit hohem Augenpunkte, wie es auf den deut-
schen Bildern vorherrscht, gezeichnet ist, wodurch denn dem Meister
die Möglichkeit wird, auf einer und derselben schmalen Tafel mehrere
Scenen, z. B. die Grablegung und die Auferstehung mit ziemlich
vielen Personen über einander darzustellen.
Allein trotz dieser Mangel und zum Theile vermittelst derselben
ist die Wirkung des Bildes eine sehr grosse; wir fühlen gerade in
der Naturtreue, mit welcher der Meister die Menschen, wie er sie
sah, mit allen Einzelheiten wiederzugeben suchte, den Ernst seiner
Gesinnung, den hohen Werth, den er selbst auf das Einzelne legte;
wir werden davon mitergriffen und dadurch zur näheren Betrachtung
bestimmt, die uns denn eine seltene Gedankenfülle und Wärme des
Ausdrucks zeigt. Keine Figur ist überflüssig, keine bloss raumfüllend,
selbst die müssigen Zuschauer sind im lebendigen Gespräche und
verrathen den Eindruck, welchen der Hergang ihnen giebt. Alle
Köpfe sind übrigens höchst vortrefflich ausgeführt und von porträt-
artiger Naturwahrheit. Bemerkenswerth ist dabei, dass die Neben-
personen, Priester, Soldaten u. s. f., in den verschiedenen Scenen
stets in derselben Tracht und mit denselben Zügen wiederkehren,
während Christus stets verändert erscheint und namentlich als Auf-
erstandener und Verklarter sich, wenn auch mit Beibehaltung der
typischen Züge, wesentlich von dem Leidenden unterscheidet. Man
erkennt darin den künstlerischen Zweck, die Beschauer ausschliess-
lich auf Christus und auf den Verlauf seiner Geschichte hinzuleiten,
ohne sie durch Aeusserlichkeiten zu zerstreuen. Damit scheint es
im Widerspruche zu stehen, dass er hier, was auf späteren flandri-
sehen oder deutschen Bildern sehr gewöhnlich ist, dagegen auf
früheren Werken dieser Schule und selbst unseres Meisters nicht
leicht vorkommt, dem ernsten Gegenstande komische Figuren bei-
gegeben hat. Bei der Kreuztragung sehen wir im Vorgrunde ein
Hündchen, das vor einem im Wege hockenden Frosche stutzt, und bei
der Kreuzigung neckt ein junger Bursche einen Affen, den einer der
Reiter bei sich führt. Allein offenbar sind auch diese Figuren darauf
berechnet, durch ihren Gegensatz den Ernst der Empfindung zu
steigern, der dann in der Gruppe der befreundeten Frauen seine
höchste Spitze erreicht.
Auf dem Rahmen liest man ohne weitere Inschrift nur die in
Ziffern geschriebene Jahreszahl 1491; das Bild ist daher später ent-