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am
Die niederländische Malerei
Jahrhunderts.
Schlusse des fünfzehnten
nicht weit davon, nach dem Kreuze hingewendet, Magdalena, deren
Tracht noch an ihr früheres eitles Treiben erinnert, mit goldbroka-
tenem, tief ausgeschnittenem Mieder und durchsichtigem, leichtflattern-
dem Schleier in höchst leidenschaftlicher Geberde die Hände ringend.
In gewisser Beziehung steht dies grösseste der Werke unsres
Meisters hinter manchen anderen zurück; die Anmuth, welche die
Gemälde des Ursulaschreins und die Frauengruppe des Johannes-
altars so anziehend macht, sucht man hier vergebens. Das Unge-
wohnte so grosser Dimensionen hat dem wackern Meister die Arbeit
erschwert und bringt die Schwachen seiner Schule an's Tageslicht.
Die Ausführung ist ungleich; Einzelnes, z. B. die entblössten Körper-
theile, besonders der Männer und vor Allem die Hände, sind mit
Einzelheiten überfüllt, Anderes, z. B. die Pferde des Hauptbildes und
die Thiere des Schutzheiligen auf den Flügeln, sind zu allgemein.
Gerade die Hauptgestalt, Christus am Kreuze, ist weniger gelungen;
das gesenkte Haupt mit halbgeschlossenen Augen ist trübe und lasst
in keiner Weise ahnen, dass dieser Sterbende irgend eine Bedeutung
vor Anderen voraus habe; der Körper ist mager und unbestimmt.
Er gleicht so sehr dem Crucifixus, welchen sein Lehrer Roger auf
dem jetzt in Antwerpen befindlichen Bilde der sieben Sakramente in
bedeutend kleineren Dimensionen ausgeführt hatte, dass man un-
geachtet des langen Zwischenraumes der Jahre einen nahen Zusam-
menhang vermuthen muss, etwa die Benutzung einer vorhandenen
Studie, die aus Regens Werkstätte in die Memlings übergegangen
sein mochte. Die übrigen Figuren, besonders die männlichen, haben
noch durchweg die steife Haltung wie bei Roger, und dies fallt um
so mehr auf, weil sie nicht mehr so schlank sind wie bei diesem.
Ihre Gesichtsbildung, breit, mit starken Backenknochen und spitzem
Kinn, erscheint vermöge des glattgekämmten, gerade geschnittenen,
die Stirn mehr oder weniger bedeckenden Haares fast viereckig.
Dies Alles giebt ihnen leicht einen schwerfälligen oder phlegmatischen
Charakter und den Bewegungen etwas Eckiges, Gewaltsames. Die
Farbe ist kräftig und mit gewohnter Meisterschaft behandelt, an den
einzelnen Gestalten in so feinen Mitteltönen, wie auf irgend einem
seiner Bilder. Die Landschaft zeigt wieder die Vorliebe für den
Wechsel von Berg und Thal und für kräftigen Baumwuchs. Auch
erkennt man das steigende Gefühl für Luftperspective;"die entfernten
Höhen sind etwas mehr abgetönt. Aber auch hier scheint die grössere
Dimension und der Anspruch auf grössere Naturwahrheit ihm die
Ausführung erschwert zu haben. Er beherrscht die vielen Einzel-
heiten, deren er bedarf, nicht mehr völlig und ist bei den höchsten