Volltext: Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert (Bd. 8)

ren Flügel die Hauptdarstellung, auf der Mitteltafel die Kreuzigung, 
auf den beiden Seitenbildern hier die Kreuztragung, dort die Grab-' 
legung, doch so, dass bei jener die vorhergegangenen Momente von 
dem Gebete auf dem Oelberge an, bei dieser die darauf folgenden 
bis zur Himmelfahrt im landschaftlichen Hintergrunde in kleinen 
Figuren ausgeführt sind 1). Die Reihenfolge ist so vollständig, dass 
beide Male zehn oder elf verschiedene Scenen gegeben sind, und so 
geordnet, dass diese bei der Kreuztragung ganz oben am Horizonte 
mit dem am Oelberge betenden Christus beginnen und so chrono- 
logisch bis zu der den Vorgrund einnehmenden Kreuztragung herab- 
steigen, bei der Grablegung aber von der im Mittelgrunde dar- 
gestellten Auferstehung aufsteigen und oben am Horizonte mit der 
Himmelfahrt schliessen. Die Linien der Landschaft sind durch die 
drei Tafeln fortgesetzt; die Stimmung des Himmels dagegen Wechselt 
im bedeutsamen Anschluss an die geschichtlichen Momente. Sie be- 
ginnt auf Gethsemane mit nächtlichem Dunkel, geht demnächst in 
Morgendäinnierung über, zeigt auf dem hiittelbilde den hohen Tag, 
doch so, dass über der Kreuzigung Sonne und Mond von dichten 
Wolken umhüllt sind, während auf der Tafel der Grablegung Däm- 
merung und Nacht herrscht, hinten aber die aufgehende Sonne sich 
schon im Wasser spiegelt. Die ganze Darstellung ist voller Gedanken 
und feiner Beziehungen und von möglichster Vollständigkeit; kein 
Umstand, dessen die Evangelien erwähnen, bleibt unberührt. Die 
Mitteltafel enthält verniöge eines sehr hoch genommenen Augen- 
punktes ungeachtet der ungewöhnlich grossen Dimension 35 Figuren, 
die in dichten Gruppen die Kreuze Christi und der Schächer um- 
geben. Unter der gleichgültig oder roh dareinblickenden Menge sieht 
man mehrere Reiter, theils in vornehmer Tracht, theils in ritterlicher 
Rüstung. So der gläubige Hauptmann, der mit sprechendem Aus- 
drucke zum Herrn hinaufweist, und der Krieger, welcher die Seite 
des Sterbenden durchsticht. Mehr im Vorgrunde Clämll auf der einen 
Seite die Kriegsknechte, die um den Rock würfelnd mit einander 
hadern, auf der andern die Freunde des Herrn. Die Jungfrau mit 
matronenhaften aber edeln Zügen in tiefem Schmerze wird von Jo- 
hannes und einer der Frauen gehalten; hinter ihr stehen zwei charak- 
teristisch verschiedene Frauen, die eine in nonnenhafter Tracht mit ge- 
falteten Handen und gesenktem Haupte ein Gebet sprechend, die andere 
in der Kleidung einer ehrbaren Bürgerfrau heftig die Hände ringend; 
1) Eine lithographische Abbildung von Otto Speckter in Hamburg ist 1825, eine 
Sehr gelungene Photographie im Verlage von Soldan IIJ. Nürnberg 1868 erschienen.
	        
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