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Blalerei am Schlusse des fünfzehnten Jahrhunderts.
Die niederländische
Heiligen hatte ihr nicht genügt. Auch unser Meister gab sich dem
nicht einseitig hin; er suchte nur diesem mehr vernachlässigten Ele-
mente seine Stelle neben dem andern vorherrschenden zu vindiciren.
Unmittelbar neben jener reizenden Gruppe stehen in strenger, auf-
rechter Haltung, wie wir sie in der Schule Rogers gewohnt sind, die
ernsten Gestalten der beiden Johannes, des Busspredigers und des
Verkündigers der letzten Dinge, hinter ihnen lesen wir vermittelst
der kleineren, der Landschaft eingefügten Bilder ihre Geschichte,
die Geschichte ihrer körperlichen Leiden und geistigen Siege, deren
letztes Stadium sich dann auf den Flügeln wieder in grosser Dimen-
sion und in voller_ Entwickelung zeigt. Hier die Enthauptung des
Täufers, diese ergreifende thatsachliche Predigt gegen Sünde und
Leichtsinn, dort die apokalyptische Vision. Alle diese Gegensätze
sind dann aber wie in einem mächtigen Grundaccord zusammengefasst
durch die Landschaft, welche zwischen den Säulen der Halle, in
welcher die Himmelskönigin thront, über der Stadt, in welcher der
Täufer den Tod erleidet, hervortritt, und selbst mit jener Vision im
Zusammenhange steht, indem sich die himmlischen und irdischen
Hergänge derselben in dem Meere spiegeln, das auch die Insel Path-
mos umspült. Obgleich die inhaltreiche Composition dem Meister
keinen Raum zu einem ununterbrochenen Landschaftsbilde gestattete,
wird gerade durch die Wiederkehr der Linien in Wald und Feld,
sobald sich eine Durchsicht öffnet, die Einheit der Alles umfassenden,
Alles tragenden Natur recht anschaulich. Noch mehr aber ist das
Ganze verschmolzen durch die vortrefflich gediegene Ausführung,
durch die gleichartige, naturgemasse Formengebung und Modellirung,
durch die schlichte und doch edle Gewandbehandlung und vor Allem
durch die kräftige und harmonische Fitrbung. Selbst das fremdartige,
röthliche Licht auf jener wunderbaren, Hiiumel und Erde umfassen-
den apokalyptischen Erscheinung ist durch den Glanz des Meeres
in dem sie sich spiegelt, ausgeglichen und wieder in das Natürliche
übergeführt. Wir fühlen uns ganz auf dem Boden der heimischen,
bekannten Natur, aber wir erkennen in ihr den Wiederschein des von
Gott ausgehenden Lichtes.
Für die Zeitbestimmung dieses grossen Werkes kann uns viel-.
leicht ein kleines, jetzt ebenfalls im Hospital St. Johann aufgestelltes
Diptychon dienen, welches auf der einen Tafel, wie die Inschrift uns
belehrt, das Bildniss des Martinus von Newenhoven in seinem 23. Jahre
und im Jahre des Herrn 1487, auf der andern aber die Jungfrau
mit dem Kinde unter Blumen und prachtvollem Schmucke darstellt.
Den Namen unseres Meisters nennt die Inschrift zwar nicht, aber die