Hans Llemling.
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Lebensgeschichte war bis vor Kurzem noch im höchsten Grade un-
sicher und verdunkelt. Bald nach seinem Tode war er hochberühmt;
die Notizen des unbekannten italienischen Kunstfreundes, welche
Morelli herausgegeben hat, beweisen, dass sein Name im Anfange
des 16. Jahrhunderts in Italien den besten Klang hatte, in den Samm-
lungen stark vertreten war und schon durch die Gewinnsucht der
Kunsthändler Werken beigelegt wurde, denen er nicht zukam 1). Auch
Vasari erwähnt ihn mehrere Male in einer Weise, die seinen Ruhm
durchblicken lasst. Aber schon van Mander weiss nur wenige Worte
von ihm zu sagen und scheint von seinen Werken nichts als den
Ursulakasten gekannt zu haben 2). Selbst sein Name war zweifelhaft;
auf seinen Bildern schreibt er ihn zwar so, wie ich ihn angegeben,
aber mit einer ungewöhnlichen Form des Anfangsbuchstabens, welche
veranlasste, dass man ihn für ein H ansah und die älteren Schrift-
steller, bei denen der Name mit M begann, für schlecht unter-
richtet hieltß). Ebenso unrichtig wie dies war auch das, was man
von seiner Lebensgeschichte erzählte. Er sollte nämlich Soldat im
Heere Karls des Kühnen gewesen, nach der Niederlage bei Nancy
aber krank nach Brügge zurückgekehrt und im Hospitale St. Johann
daselbst aufgenommen und hergestellt worden sein, wofür er dann
durch die zahlreichen, in demselben befindlichen Gemälde seine Dank-
barkeit bezeugt habe. Die neueren archivalischen Forschungen haben
dem Archiv von Brügge verdanken wir dem Engländer James Weale, der darüber
zuerst in dem Journal des beaux arts et de la literature, V01. III. Bruxelles 1861,
S. 71 ff. und demnächst im Journal: Le Beffroi, V01. II. p. 179 ff., 196 ff. und
a. a. O. berichtet hat. Vgl. einen Auszug daraus in seinem Catalogue du Musee
de PAcademie de Bruges, 1861 p. 20 und endlich die kleine Schrift: Hans Mem-
linc, zijn leven en zijne Schilderwerken, Brügge 1871. indess zur Lebens-
geschickte Memlingis auch die Auffassung des Brüsseler ltluseumskatalogs],
1) Morelli, Notizie, nennt ihn fünf Mal, einige Male bei Bildern, deren Be-
schreibung schon erhebliche Zweifel an Memlingls Urheberschaft erweckt, unter
andern auch bei dem Breviarium Grimani, von dem weiter unten die Rede sein wird.
2) Schilderboeck ed. 1604 fol. 204.
3) Van Mander nennt ihn Hans Memelinck, der Anonymus des Morelli Zuan
Memelino, der Kupferstecher Goltzius auf einem Stiche von 1656: Joan. Memelinck.
Sanderus in seiner Flandria illustrata ist der erste, welcher den Anfangsbuchstaben
des Namens: H liest, doch erst Descamps: Vie des peintres Flamands, 1753 Vol. I.
p. 12 erklärt ausdrücklich, dass die Schreibart Hemmelinck die richtigere sei.
Weale, Hans Memlinc p. 8. Auf den Bildern schreibt der Meister selbst seinen
Namen JTIEMLING und dies bestimmte Viele, unter Andern mich selbst in den
Niederländischen Briefen (1834) S. 357, die Lesart Hemling vorzuziehen. Indessen
ist jene ungewöhnliche Form des M. (und zwar wie hier abwechselnd mit der ge-
wöhnlichen) in vielen Urkunden nachgewiesen, und die jetzt vorgefundenen urkund-
lichen Notizen lassen keinen Zweifel, dass sein Name mit einem M anting.