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der
Roger van
seine flandrischen Zeitgenossen.
Weyden und
der selbst mit grosser Anerkennung davon spricht, erzählt, dass Lam-
psonius bei einem gelegentlichen Aufenthalte nicht satt geworden sei,
sie zu betrachten und dabei die stärksten Ausdrücke der Bewunderung
zu gebrauchen. Glaubhafte Copien besitzen wir nicht und gewinnen
also durch diese Nachricht nur die Ueberzeugung, dass Roger durch
grosse historische Compositionen und zwar von dramatisch bewegten
Momenten eine ungewohnte Wirkung hervorgebracht habe 1). Nächst
diesen Gemälden scheint keines seiner Werke grösseren Beifall ge-
funden zu haben, als eine Kreuzabnahme, von der wir noch jetzt
zahlreiche Wiederholungen besitzen, von denen zwei aber zuverlässig
von seiner eignen Hand herstammen. Die Coniposition bildet ein
längliches Viereck von geringerer Höhe als Breite (2 Meter zu 2,63),
jedoch mit einem schmalen, überhöheten Mittelraum, auf Goldgrund.
In der Mitte das Kreuz, an dessen Fusse der Leichnam bereits von
zwei Männern in Empfang genommen ist, Während ein auf der Leiter
stehender Knecht ihn noch hält. Rechts die zu Boden gesunkene
Maria, von Johannes und einer der Frauen gehalten, eine andre,
weinende dahinter. Links, nahe den Füssen des Heilandes, neben
einem mit dem Salbgefässe herzutretenden Manne, Magdalena in der
heftigsten Bewegung leidenschaftlichen Schmerzes, die Hände ringend,
die Kniee gebogen, wie im" Begriffe, zu den Füssen der geliebten
Leiche hinzusinken. Als eigne Arbeit des Meisters beglaubigt ist
vor Allem ein Exemplar in kleineren Dimensionen auf Goldgrund im
Choruingange der Peterskirche zu Löwen, welches ein Schriftsteller
1) Unter den Teppichen des Münsters zu Bern, Welche zufolge der Tradition
als Beute nach der Niederlage Karls des Kühnen (1477) dahin gelangt sein sollen,
befinden sich drei, welche dieselben Gegenstände wie jene Bilder enthalten und
zwar (wie Pinchart im Bull. de PAcad. de Belgique, Tome XVII. S. 54 nach-
gewiesen hat) mit denselben lateinischen Inschriften, welche auf den Rahmen der
Brüsseler Originale standen. Man hat daher vermuthet, in ihnen Copien jener
Gemälde zu besitzen (Kinkel, die Brüsseler Rathhatisbilder des Roger van der
Weyden und deren Copien in den burgundischen Tapeten zu Bern. Zürich 1867. 4).
Allein die Abbildungen jener Tapeten, welche Achille J ubinal, Tapisseries historiees,
bereits im Jahre 1838 gegeben hat, widerlegen diese Vermuthung. Die ganze An-
ordnung mit einem hohen Augenpunkte und mit überladener Häufung der Figuren
entspricht nicht der Bogens und seiner flandrischen Zeitgenossen, sondern weist
auf das sechszehnte Jahrhundert hin, und selbst die Costüme lassen auf einen so
späten Ursprung schliessen, woraus denn folgt, dass die Tapeten auch nicht im
Besitze Karls des Kühnen gewesen sein können. Endlich scheint es richtig, was
Michiels a. a. O. darzuthun versucht, dass die Eintheilung der Darstellungen auf
den Tapeten nicht mit denen der Gemälde, wie sie uns beschrieben werden, in
Einklang zu bringen sei. [VgL übrigens auch Kinkel: Mosaik zur Kunstgeschichte,
Berlin 1876].