Die Brüsseler Rathhausbilder.
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Von den Werken jenes älteren Roger van der Weyden, der in
der That der Einzige ist, mit dem wir uns zu beschäftigen haben,
sind leider die meisten, die von den nahestehenden Berichterstattern
gepriesen werden, verloren gegangen. So zunächst das berühmteste
von allen, die Reihe von Tafelgemälden, mit denen er die sogenannte
goldene Kammer des Rathhauses zu Brüssel, den Gerichtssaal, ge-
schmückt hatte, und die, wie es herkömmlich war, den Richtern Vor-
bilder eifriger Rechtspflege vor Augen stellen sollten. Sie gehörten
zu den Merkwürdigkeiten Brüssels, welche den Fremden gezeigt
wurden und sind daher in den Berichten derselben, von unserm
Albrecht Dürer an bei seiner niederländischen Reise im Jahre 1.522,
bis gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts häufig erwähnt und
zum Theil ausführlich beschrieben. Zwei dieser Tafeln beschäftigten
sich mit der Geschichte des Kaisers Trajan, zuerst wie er in richter-
licher Pfiichttreue den Feldzug, zu dem er ausziehen will, aufschiebt
und der Wittwe, die ihn wegen der Ermordung ihres Sohnes anruft,
durch die Bestrafung des Thäters zu ihrem Rechte verhilft; dann wie
der Papst Gregor der Grosse, durch die Erzählung dieser That gerührt,
vor dem Altar St. Peter's für ihn zu bitten wagt und demnächst
durch das wunderbar erhaltene, aus dem Grabe unter der Trajans-
säule herbeigeschaffte Haupt des Kaisers und durch eine himmlische
Stimme die Gewissheit seiner Seligkeit erlangt. Zwei andere Tafeln
enthielten die locale Legende von einem Grafen Herkenbald; auf der
einen sah man ihn krank im Bette liegend, wie er seinen Neffen,
der ein Verbrechen begangen, zum Erstaunen seiner Beamten mit
eigner Hand tödtet; auf der andern reichte ihm der Priester die
letzte Communion, wobei, wie die ausführliche lateinische Inschrift
ergab, die Billigung dieser That dadurch erwiesen wurde, dass die
Hostie, die ihm der Bischof wegen derselben verweigert hatte, sich
wunderbarer Weise aus dem verschlossenen Gefäss in seinen Mund
begab. Im Jahre 1690 wurden diese Gemälde noch als bestehend 1)
erwähnt, seitdem nicht mehr, und es ist daher wahrscheinlich, dass
sie bei dem Brande des Rathhauses während des Bombardements
von 1695 zu Grunde gegangen sind. Sie wurden allgemein bewundert.
Dürer lässt sich zwar nicht näher darüber aus, nennt aber doch bei
Gelegenheit derselben Roger einen grossen Meister. Van Mander,
1) Fälibien, Entretiens sur 1a vie et les ouvrages des peintres. Tome I. p. 579 ff.
bei lllichiels 2. Aufl. III. p. 27. Es ist bemerkenswerth, dass Fälibien, nachdem
er die Legende des Herkenbald erzählt, hinzufügt, dass der Maler bei Darstellung
derselben „a fait voir dans les ligures des expressions qui surpassent tout ce
que les autres peintres ont jamais fait de plus beau.